Spieglein, Spieglein an der Wand
rücksichtsvoll. Das muss Liv verletzt haben.
Sandra steht auf und öffnet einen Schrank, der mit Klamotten vollgestopft ist. Sie nimmt mehrere Oberteile heraus und betrachtet sie prüfend. „Ich wollte eigentlich gerade weggehen.“
„An einem Mittwoch?“
„Im La Casa ist immer ziemlich viel los. Außerdem will ich mich da mit meinem Freund treffen.“
Jetzt erwartet sie wohl, dass ich sie frage, wer es ist.
„Du hast einen neuen Freund?“
„Noch nicht lange, aber er ist wahnsinnig süß. Er heißt Joakim und ist Moderator bei The Voice .“
„Im Radio?“
„Nein, im Fernsehen.“
„Okay … Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“
Sandra pustet sich genervt die Haare aus der Stirn. „Also, dasist doch wirklich total absurd. Glaubst du etwa, dass Jonathan von irgendwelchen Schwulen umgebracht wurde?“
„Nein, aber von Schwulenhassern vielleicht.“
Sandra seufzt schwer und wirft die Oberteile auf ihr Bett. Sie geht zum Fenster und sieht hinaus. Auf dem Strandboulevard sind die Straßenlaternen inzwischen angegangen. Sie werfen einen gelblichen Schein auf ihr fahles Gesicht. „Wenn du es unbedingt wissen willst: Wir haben nur drei oder vier Mal gevögelt, und auch erst, nachdem wir schon ein paar Wochen zusammen waren. Das hat mich gewundert, denn die meisten Typen können ihn ja gar nicht schnell genug reinstecken.“ Sie sieht mich vorwurfsvoll an, und für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich, sie hätte etwas von Arendse gehört. Dann wendet sie sich wieder der Straße zu. „Ich dachte mir einfach, dass er mich doch nicht so toll fand. Denn er war auch derjenige, der Schluss gemacht hat. Aber das hat Kasper dir sicher schon erzählt.“
„Ja, das hat er ganz besonders betont.“
„Eigentlich war es okay, ich meine, dass Jonathan Schluss gemacht hat. Ich will nicht mit jemandem zusammen sein, der mich nicht wirklich mag. Das muss man sich doch nicht antun.“
Inzwischen scheint sie selbst daran zu glauben, doch ein Unterton in ihrer Stimme verrät, dass das nicht immer so gewesen ist. Jonathan hat sie wirklich verletzt.
Sandra setzt sich wieder zurück an den Tisch. „Jonathan dachte immer, er wäre der letzte Dreck, weil er es mit der Schwester seines besten Freundes trieb. Ich konnte noch so oft sagen, dass Nicks Meinung in dieser Sache egal war. Am Ende hat er Nick dann auch als Ausrede missbraucht, um mit mir Schluss zu machen.“
„Aber in Wirklichkeit hatte er einen anderen Grund?“
Sandra zuckt mit den Schultern. „Das habe ich doch schon gesagt. Er war nicht so verknallt in mich wie ich in ihn.“
„Entschuldige.“
„Hau jetzt ab. Ich muss lernen.“
Als ich schon halb aus der Tür bin, ruft sie mich zurück.
„Mateus? Kann sein, dass Jonathan auf Jungs stand. Vielleicht war er auch nur verwirrt. Aber das ist doch jetzt auch egal.“
Ihr vielleicht.
4. April
Mein Vater rumort im Vorgarten. Zurzeit sprechen wir nicht viel miteinander. Er arbeitet oder probt mit seiner Band. Ich sitze oben in meinem Dachzimmer oder halte mich vom Haus fern. Wir reden nie über meine Mutter oder die Hochzeit. Das ist tabu. Er hat mich auch nicht gefragt, ob ich hingehen werde.
Es kommt mir so vor, als würden alle und alles warten. Als würde sich bald etwas verändern. Bis es so weit ist, mache ich mir erst mal einen Kaffee und blättere in einer Frauenzeitschrift, die meine Mutter dagelassen hat. Sie ist von Januar und enthält ein Jahreshoroskop für alle Sternzeichen. Ich kann es nicht lassen, mir die Märzprognose für den Steinbock anzusehen.
Du wirst mit neuen Gedanken und Ideen konfrontiert. Versuche, ihnen aufgeschlossen zu begegnen.
Mein bester Freund war vielleicht schwul – das ist auf jeden Fall ein neuer Gedanke.
April: Der Druck auf dich nimmt zu. Man erwartet Ergebnisse und Stellungnahmen von dir.
„Man“ ist gleichbedeutend mit Arendse. Sie hat mich überredet, sie morgen im Kastellet zu treffen. Leider wird meine Stellungnahme sie wohl kaum begeistern, denn wir werden uns unter keinen Umständen wiedersehen.
Egal.
Mai: Du musst einsehen, dass man es nie allen Menschen recht m achen kann, doch zugleich tun sich neue Chancen auf. Dies ist die Zeit der Liebe. Wenn du Single bist, kann ein neuer Partner in Gestalt einer Person auftauchen, die du bereits kennst.
Ich folgere blitzschnell, dass ich mit Juliane zusammenkomme, denn sie kenne ich ja bereits. Sie braucht nur eben noch einen Monat mehr, um sich zu entscheiden, nicht mehr lesbisch
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