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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Bruhn
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soll. Beide Opfer werden unter den Lichtkegel der Lampe gehievt, damit kein Zweifel daran bestehen bleibt, wer hier zusammengeschlagen wurde.
    „Kannst du erkennen, wer das ist?“, fragt Rasmus leise.
    „Unsere Freunde von der Wurstbude.“
    Wer auf sie einschlägt, ist weniger deutlich. Sie tragen allesamt dunkle Hosen und schwarze Kapuzenpullover. Die Kapuzen haben sie sich über den Kopf gezogen und sich Tücher vor das Gesicht gebunden. Sie sehen aus wie Autonome, sind es aber nicht.
    „Das sind die Rächer von Engel“, sagt Rasmus. „Sie haben die beiden Typen aufgrund unserer Beschreibung aufgespürt und ihnen eine Abreibung verpasst.“
    „Das kannst du doch nicht wissen.“
    „Sieht das etwa aus wie ein zufälliger Überfall?“
    „Aber eine Rächergruppe? Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt?“
    „Auf keinen Fall. Überall in der Szene kursieren zurzeit Gerüchte, dass es eine solche Gruppe gibt. Sie haben es uns zu Ehren aufgenommen.“
    „Uns?“
    „Ja, den Opfern. Ich habe gleich bei Jeppe nachgefragt, und er hat dieselbe Mail bekommen. Damit wir sehen, dass wir gerächt wurden.“
    „Dass wir was?“
    „Wie würdest du es sonst nennen?“
    Ich weiß nicht so recht, was ich darauf antworten soll, und spiele den Film zum dritten Mal ab. Zwei der schwarz gekleideten Typen verstehen sich auf Halbkreistritte.
    „Der da!“ Rasmus tippt mit dem Finger auf den Bildschirm. „Der da gerade verschwindet und jetzt zurückkommt … da! Das ist Lasse.“
    „Das kannst du doch gar nicht erkennen“, erwidere ich mit einem genervten Stöhnen.
    „Hallo! Diesen tollen Arsch würde ich unter tausend anderen erkennen.“
    Vielleicht hat er recht. Körperbau und Größe stimmen. Aber gleichzeitig könnten es außer Lasse auch so viele andere sein, beispielsweise die Hälfte von Kopenhagens männlicher Bevölkerung. Ich kneife die Augen zusammen und versuche, etwas von seinem Gesicht zu erkennen, aber es ist unmöglich. Es ist verdeckt und die meiste Zeit wendet er der Kamera den Rücken zu. Doch dann sehe ich die gelben Turnschuhe. Sie standen in einem Schaufenster, spät nachts, als Lasse mich fragte, ob ich sienicht ein bisschen teuer fände. Er hatte angehalten, um sie sich anzusehen.
    Rasmus schnaubt höhnisch: „Die Schwulen schlagen zurück. Damit diese Idioten es endlich lernen.“
    „Wenn sie noch am Leben sind.“
    „Natürlich sind sie noch am Leben. Ich habe jedenfalls nichts von einem Doppelmord am Wochenende gehört. Du?“
    In der letzten Aufnahme liegen Schiefnase und der Rote unter dem Schein der Lampe. Die Maskierten ziehen sich zurück. Die beiden Opfer, die sich noch bewegen, werden herangezoomt. Dann hört der Film auf. Ich spiele ihn erneut ab.
    „Es sieht so aus, als hätten sie vorher genau abgesprochen, wie oft sie zuschlagen.“
    „Das ist besser choreografiert als Holiday on Ice “, sagt Rasmus und starrt fasziniert auf den Bildschirm. „Die wissen genau, wie weit sie gehen können.“
    „Wie oft hast du dir den Film schon angesehen?“
    „Heute? Fünfzehn oder zwanzig Mal. Und gestern schon genauso oft, nachdem ich ihn bekommen habe. Er wurde Freitagabend aufgenommen.“
    „Ich finde ihn schon ein bisschen widerlich.“
    „Findest du?“
    „Ja, die beiden Typen haben ja überhaupt keine Chance!“
    „Hatte Jeppe das denn?“
    Ich halte den Mund und sehe wieder auf den Bildschirm. Vielleicht ist das Gerechtigkeit?
    Ich erinnere mich noch an die Kälte, die Beleuchtung der Würstchenbude und den Geruch von Ketchup und gerösteten Zwiebeln, aber in erster Linie erinnere ich mich an die Furcht. Reste davon stecken mir noch immer in den Knochen. Und während ich diese Angst spürte, hatte ich die ganze Zeit denselbenGedanken: Warum hilft uns niemand? Dabei dachte ich gar nicht mal an die Polizei. Ich wünschte mir Hilfe von jemandem, der genauso brutal war wie Schiefnase und der Rote. Die beiden sollten nicht nur aufgehalten werden, nein, ich wünschte ihnen auch Böses. Furcht. Schmerzen. Und als ich hörte, was mit Jeppe passiert war und sein malträtiertes Gesicht sah, wollte ich Rache. Vergeltung. Mir fällt auf, dass ich kein bisschen Mitleid mit Schiefnase und dem Roten habe.
    Sie haben das alles verdient, flüstert der Steinzeitmensch in mir. Sie haben uns angegriffen und deshalb hatten wir ebenfalls das Recht, sie anzugreifen. Schickt die Krieger los, um uns zu rächen!

5. April
    Ist sie jünger geworden oder ist es nur mein schlechtes Gewissen? Sie hat

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