Spieglein, Spieglein an der Wand
meinen Freundinnen erzählt, dass wir zusammen sind.“
„Du hast was?“
„Sie sind total neidisch, weil du aufs Gymnasium gehst.“
„Vergiss es.“
Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen: „Kann sein, dass du keine Lust hast, mit mir zusammen zu sein, aber dann kannst du doch wenigstens so tun als ob. Das bist du mir schuldig.“
„Ich bin dir verdammt noch mal überhaupt nichts schuldig!“ Ich kann nicht anders, als laut zu werden. Das Paar im Café hat uns immer noch fest im Blick, während sie irgendwas diskutieren. Wahrscheinlich überlegen sie, ob sie den Kinderschutzbund rufen sollen.
„Wie gesagt, wenn du es nicht machst, erzähle ich, du hättest mich vergewaltigt. Und zwar meinen Eltern und der Polizei!“
„Jetzt reicht es aber!“
„Du bist über achtzehn und ich bin unter fünfzehn, und deshalb hast du kriminell gehandelt.“
Blufft sie? Leider sieht es nicht so aus. Ganz im Gegenteil. Und wenn sie auspackt, wird meine Mutter es erfahren. Und mein Vater. Und Liv.
Die ganze Welt.
7. April
Zunächst werde ich durch 317 Quadratmeter (davon 120 mit Meerblick) geschleift, wobei man von mir erwartet, dass ich meine Meinung zu Sachen wie den Möbeln oder der Badezimmergestaltung äußere. Meine Mutter geht plötzlich in solchen Dingen auf, weil sie es sich leisten kann – beziehungsweise einen Mann hat, der die Schecks ausstellt. Auf diese Weise ist meine Mutter zu einer jener Frauen geworden, die sie früher so verachtet hat. Jener Typ Frau, der sich damit beschäftigt, ob die Handtücher zu den Fliesen passen oder die Geschirrtücher in Frankreich gekauft wurden. Ihr Haar hat sie auch heller gefärbt, sodass es jetzt präsidentschaftskandidatengattinnenblond ist.
Nach der Führung trinken wir Tee, in einem Wintergarten mit weißen Möbeln und so vielen Pflanzen, dass man ohne Probleme eine Gärtnerei damit eröffnen könnte. Meine Mutter plaudert lange darüber, wie schön so ein Wintergarten sei, den „die Frühlingssonne auf Wohnzimmertemperatur erwärmt“. Man könnte wirklich glauben, sie hätte einen solchen Wintergarten in ihrem alten Leben vermisst und es nur nie geäußert. Abgesehen von Haus und Haar und all der beigefarbenen Kleidung, die sie sich in letzter Zeit zugelegt hat, sind auch in ihrem Berufsleben Veränderungen eingetreten. Meine Mutter hat ihren Job immer geliebt, arbeitet jetzt aber nur noch Teilzeit, „weil es momentan ja so viel anderes zu tun gibt“. Wie zum Beispielihrem neuen Hobby zu frönen, denn Johannes hat ihr zur Verlobung ein komplettes Golfset geschenkt. Er selbst spielt nicht Golf, wahrscheinlich ist ihm der Machofaktor dieses Sports zu gering, aber er hat massenhaft Freunde und Verwandte, die passionierte Golfer sind. Zu dem Geschenk gehörte auch die Mitgliedschaft in einem lokalen Golfclub.
Sie lächelt: „Das ist doch eine tolle Möglichkeit, Johannes’ Familie besser kennenzulernen und gleichzeitig eine Menge Spaß zu haben.“
Ein bisschen Spaß muss sein …
Plötzlich geht mir auf, dass meine Mutter schon bald zusammen mit Arendses Eltern auf dem Golfplatz stehen könnte. Bei dem Gedanken wird mir übel. Die Party bei Arendses Klassenkameradin ist übermorgen, und ich bin immer noch unsicher, ob ich es tatsächlich sein lassen soll, hinzugehen. Mal sehen, ob sie es wagt, ihre Drohungen wahr zu machen.
Denn wenn sie es tut …
Verhaftung und Verhör. Untersuchungshaft? Ein Loch mit Zementboden und einem Klo in der Ecke. Ein Typ mit behaartem Rücken, der will, dass man sein Liebster ist. Meine Mutter auf dem Golfplatz, wo sich der Lindhardt-Clan rächt, indem er sie mit einem Golfschläger erschlägt und sie in den See in der Nähe von Loch Fünfzehn wirft, während sich der Rest der High Society diskret wegdreht und nichts gesehen haben will.
Würde meine Mutter mich Johannes Boye Lindhardt vorziehen? Denn wenn es so aussieht, dass ich Arendse vergewaltigt habe, wäre meine Mutter wohl gezwungen, sich zwischen mir und ihrem neuen Leben zu entscheiden. Ich wäre der schambehaftete Sohn aus ihrer früheren Ehe, der perverse Sexualverbrecher, den sie nur heimlich besucht und nie vor ihrer neuen Familie erwähnt.
„… Ich glaube schon, dass ich mich für diesen Sport begeistern kann. Ich meine, es geht ja nicht nur um das Spiel an sich, es ist ja auch ein Naturerlebnis.“
Nach dem Naturerlebnis gerät sie ins Stocken. Ihr Wortschatz zu Golf und Möbeln scheint ausgeschöpft. Ich zerkrümle einen Scone mit den Fingern
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