Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
Vom Netzwerk:
Ryan eine Menge von der Welt sehen. Und zwar gleichzeitig.«
    Emily war zu müde, um sofort die grauenhafte Bedeutung dieser Worte zu verstehen.
    »Ein Teil fliegt nach Queens, ein anderer Teil nach New Jersey. Und ein Teil fliegt nach Staten Island – dorthin, wo du heute Nacht auch schon warst.«
    Emily versuchte, nicht laut zu atmen. Schweißperlen waren auf ihrer Stirn.
    »Das, liebe Emily, was du gesehen hast«, sprach die Stimme weiter, »ist kein neuer Boss-Anzug aus der Herbst-Kollektion. Es ist ein …« Er schien die Pause auskosten zu wollen. »Es ist eine Sprengstoffweste.«
    Sprengstoffweste, dachte Emily. Jones hatte recht gehabt. Natürlich. Wenn Leute etwas Schlechtes vermuteten, dann hatten sie immer recht. Wenn etwas schief gehen konnte, dann ging es auch schief.
    »Am Ende wirst du entscheiden, ob er hochgeht und wann er hochgeht. Aber bis dahin möchte ich dir noch ein bisschen Ruhe gönnen.«
    »Gib mir Ryan«, schrie Emily, »ich muss mit ihm sprechen. Gibt mir Ryan. Ich muss –«
    »Sterben muss man, Emily«, unterbrach sie die Stimme, »und sonst gar nichts. Schlaf gut.«
    Die Verbindung endete.

47
    Sie hatte kaum geschlafen und saß nun mit Julia in der Cafeteria der Columbia University. An Vorlesungen war natürlich nicht zu denken.
    Vorher hatte sie ein Gespräch bei ihrem Tutor Jim, dem sie erklärt hatte, dass sie im Moment einfach nicht so am Studium teilnehmen konnte, wie sie sich das wünschte.
    Die Balkontür in Jims Büro hatte offen gestanden, und Emily hatte nach draußen geblickt, wo noch eine Zigarette im Aschenbecher qualmte, deren Rauch sich in seltsamen, geometrischen Mustern zum Herbsthimmel erhob, chaotisch und symmetrisch zugleich. Und irgendwie hatte sie dieser Rauch an ihre eigene Situation erinnert, die genauso chaotisch war, mit dem Unterschied, dass es hier eine Regelmäßigkeit gab, die offenbar jedes Jahr aufs Neue begann, eine Art Rhythmus des Grauens, der in wiederholten Abständen auf Emily einhämmerte. Vor fast einem Jahr hatte sie schon einmal hier gesessen, als ihr Studium begonnen hatte. Draußen vor dem Fenster sprangen gerade, genau wie damals, Spatzen und Meisen in den Bäumen, und die typischen braunen Erdhörnchen, die man nur an der Ostküste der USA findet, hüpften von Ast zu Ast.
    Es war so idyllisch gewesen, dachte Emily. Damals war sie der Ansicht gewesen, jetzt endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Und sie hatte nicht geahnt, wie schief sie damit gelegen hatte.
    Der Tutor hatte versprochen, mit den Professoren zu reden. Und er hatte Emily angeboten, jederzeit vorbeizukommen, wenn er ihr irgendwie helfen könnte.
    Das war nett, dachte Emily. Aber wirklich helfen würde es ihr nicht.
    Sie ließ ihren Blick durch die Cafeteria schweifen.
    Lisa lief am Tisch vorbei und musterte einige der Studenten mit einem leicht abschätzigen Blick. Dann nickte sie Emily und Julia zu.
    »Alles wieder paletti?«, fragte sie.
    Sie war ja mehr oder weniger in Emilys Geschichte eingeweiht, wenn auch nicht vollständig. Das mit Ryan wusste sie noch nicht, und Emily war der Ansicht, dass es für Ryan auch besser wäre, wenn sie das nicht überall herumerzählen würde. Jonathan hatte ihnen eindeutig untersagt, die Polizei oder sonst wen einzuschalten. Je weniger also von der Entführung wussten, desto besser.
    »Frag nicht«, sagte Emily und lächelte resigniert.
    »Ich bin in der Bibliothek«, sagte Lisa, »falls ihr mich braucht.«
    Das war gut zu wissen. Es war anzunehmen, dass dieser Verrückte schon bald mit dem nächsten Rätsel aufwarten würde. Und da könnte man Lisa bestimmt gut gebrauchen.
    Emily tippte lustlos auf ihrem Smartphone herum. Da fiel ihr eine Mail auf, die etwa seit fünf Minuten in ihrer Inbox war.
    Absender war ein gewisser John Martin.
    John Martin? Sie kannte keinen John Martin.
    Sie öffnete die Mail.
    Ein kryptischer Text. Fast so, als käme er von ihm.
    »Julia, schau mal hier!«
    Julia rückte zu Emily.
    GEH ZUM FESTMAHL VON DEM, DESSEN STADT UNTERGEGANGEN IST, stand dort. IHR HABT ZWANZIG MINUTEN.
    Emilys Magen krampfte sich zu einem Golfball zusammen. Nur zwanzig Minuten! Immerhin musste das Ziel einigermaßen in der Nähe sein.
    Julia zog die Augebrauen zusammen. »Das ist doch schon wieder von diesem Irren!«
    »Und wer ist John Martin?«, fragte Emily und sah auf die Uhr.
    »Mann, ist doch völlig egal.« Julia stand auf. »Ist vielleicht ein Deckname, irgendein fiktiv eingerichteter Mailaccount, was auch immer.«

Weitere Kostenlose Bücher