Spiel der Dämmerung - Feehan, C: Spiel der Dämmerung - Mind Game (Ghost Walkers # 2)
Originalen erkennen?
Die Leute von Lombard Inc. gingen sehr schlau zu Werke. Sie klauten Ideen, versteckten sie in ihrem Tresorraum, wo niemand nachsah, und nach ein paar Wochen oder Monaten kramten sie die Pläne wieder heraus, modifizierten sie geringfügig und ließen die Produkte unter ihrem eigenen Firmenzeichen in Produktion gehen – ein erstaunlich effektives und sehr lukratives Geschäft. Und jetzt hatten sie beschlossen, sich die Taschen so richtig vollzustopfen, indem sie geheime Waffen entwickelten und sie an jede Regierung oder Terroristengruppe verhökerten, die gewillt war, den exorbitanten Preis dafür zu bezahlen.
Dahlia konzentrierte sich wieder darauf, wie sie am besten auf das gegenüberliegende Dach gelangen konnte, ohne entdeckt zu werden. Der Wind hatte inzwischen bedenkliche Geschwindigkeiten erreicht – eines der größten Risiken, wenn man ein Drahtseil benutzen wollte, um die Kluft zwischen zwei Gebäuden zu überwinden. Mit geübtem Blick studierte sie die Winkel der Dachkonstruktion. Wenn sie über ein Drahtseil lief, startete sie mit beherzten
Schritten, schwebte dann aber meistens knapp über dem Seil und musste dabei höchste Konzentration aufbringen, um während des Schwebens genügend Vorwärtsschub zu erzeugen. Über das Seil zu rennen ging zwar schneller, war aber auch gefährlicher. Die beständigen Regenschauer waren ebenfalls hinderlich und machten das Seil rutschig, weshalb sie entschied, die beiden Techniken zu kombinieren.
Sie sprang auf das Drahtseil und begann zu rennen, und zwar so schnell, dass sie das Seil kaum mit den Füßen berührte. Die Windböen wurden immer heftiger und bliesen mit voller Kraft in ihre Richtung, als wollten sie sie absichtlich von dem Seil fegen. Ein paar Mal traf eine Sturmböe sie direkt von der Seite und schleuderte sie beinahe von dem dünnen Seil. Dahlia schaute niemals nach unten, hielt den Blick und ihre Gedanken geradewegs auf ihr Ziel gerichtet. Sie war imstande, das Durchhängen des Seils und teilweise auch das Schwingen auszugleichen, aber den Wind beeinflussen, das konnte sie nicht. Als sie von einer besonders heftigen Böe getroffen wurde, verlor sie das Gleichgewicht, trat ins Leere und stürzte kopfüber vom Seil.
Reflexartig streckte sie die Hand nach dem Drahtseil aus, bekam es zu fassen und renkte sich im Fallen beinahe die Schulter aus. Sie hörte Nicolas’ entsetztes Aufkeuchen in ihrem Kopf widerhallen und blendete seine Ängste sofort aus, die ihre Konzentration nur störten. Dann brachte sie auch die andere Hand ans Seil und wartete in schwindelnder Höhe baumelnd ab, dass der Wind sich legte. Da es in der Stadt nur wenige hohe Gebäude gab, die ihn abhielten, konnte ein Sturm hier wirklich gefährliche Geschwindigkeiten erreichen.
Doch trainiert, wie Dahlia war, und an derartige Hochseilakte gewöhnt, schwang sie ihre Beine hoch, hakte sich mit den Knien ein und ließ sich kopfüber hängen. Regentropfen peitschten ihren Hals und ihr Gesicht. Sie griff zwischen den Beinen hindurch nach dem Seil und schwang ein paar Mal hin und her, bis sie sich in eine sitzende Position bringen konnte. Unter ihr warfen die Straßenlaternen milchig gelbe Lichtkegel durch die trostlosen Regenschleier. Dahlia versuchte sich gerade anhand der Lichter zu orientieren, als sie aus einem Hauseingang einen Schatten huschen sah. Sie erkannte die Gestalt sofort.
Seine Art, sich zu bewegen, hatte immer etwas Verschlagenes gehabt. Roman Howard, Martins Bruder, war der Mann gewesen, den sie in der Rutgers Universität vor Dr. Ellingtons Büro gesehen hatte. Er war scheinbar lässig über den Flur geschlendert, wie jeder andere Student auch, dennoch war er ihr aufgefallen, weil seine Art zu gehen bei ihr sämtliche Selbsterhaltungsinstinkte geweckt hatte. Er war an jenem Tag bereits auf der Jagd gewesen, hatte den Professor aufs Korn genommen, um ihn später zu töten. Dahlia war scheinbar nur eine andere Studentin gewesen, und er hatte sie nicht bemerkt, denn sie war, ihren speziellen Fähigkeiten gemäß, wie ein Chamäleon mit ihrer Umgebung verschmolzen.
Hoch über ihm auf dem Seil sitzend, Wind und Regen im Gesicht, beobachtete sie Howard, wie er die Straße überquerte und vor dem Eingang zum Lombard-Gebäude stehen blieb, wobei er sich mehrmals achtsam umschaute, als rechnete er damit, beobachtet zu werden. Das war der Mann, der Milly und Bernadette getötet, ihr Haus zerstört und beinahe Jesse Calhoun umgebracht hatte. Er hatte sein
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