Spiel der Dämmerung - Feehan, C: Spiel der Dämmerung - Mind Game (Ghost Walkers # 2)
ein Kind es tun würde, ganz automatisch, so als merkte sie gar nicht, was sie da tat. Dann hob sie den Kopf und lächelte ihn an. Es war ein echtes Lächeln, doch in ihren Augen schimmerten Tränen. »Vielen Dank, Nicolas«, flüsterte sie mit erstickter Stimme.
Nicolas konnte nur schwer an sich halten, sie nicht in seine Arme zu reißen. »Gern geschehen, Dahlia.« Damit wandte er sich von ihr ab, weil ihm nichts anderes übrigblieb. Weil seine Gefühle sie beide überwältigten. Weil sie seine Gefühle für Mitleid halten und ihn dafür hassen würde. Weil sie ihn innerlich auffraß. Sie dabei zu beobachten, wie sie sich mit diesem lächerlichen Stofffetzen tröstete, als ob dieses verdammte Ding ihre Familie repräsentierte, ihre Vergangenheit … Doch genau so war es. Er verfluchte Peter Whitney, als er von ihr wegging.
Nicolas wollte ihr Tröster sein statt dieses ausgefransten Stücks Stoff, das sie schon vor Jahren in den Müll hätte werfen sollen. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Nicolas das Gefühl gehabt, richtig tief in der Tinte zu sitzen. Nicht als Junge allein in den Bergen, als sein Großvater verschwunden war und er den Heimweg selbst hatte finden müssen. Nicht im Dojo während des Trainings, als er von etlichen erwachsenen Männern »angegriffen« worden war, die einen viel höheren Rang besaßen als er. Und auch nicht während seiner Special-Forces-Ausbildung oder als er mutterseelenallein im Dschungel zu einer Mission abgesetzt worden war. Doch jetzt fühlte er sich so. Und hatte keine Ahnung, wie er Dahlia an sich binden könnte.
Als Kind war er ohne Mutter und auch ohne eine Großmutter aufgewachsen. Hatte nie eine zärtliche Bindung oder eine Ehe erlebt. Und in dieser Hinsicht auch keinerlei
Unterweisung erfahren. Das Einzige, was er erlebt hatte, was einer Beziehung nahe kam, war, Ryland Miller dabei zu beobachten, wie er Lily nachstellte. Der Mann hatte völlig den Verstand verloren. Und jetzt fürchtete Nicolas, dass er sich demnächst ebenfalls in die Ränge derjenigen einreihte, die wegen einer Frau durchdrehten.
Nicolas schüttelte den Kopf, um diese unschönen Gedanken zu vertreiben, während er im Schutz der Büsche am Fluss entlangschlich. Er brauchte eine gute Position, um das Gelände zu studieren, das sie später am Abend überqueren würden. Und er wollte eine Vorstellung davon gewinnen, mit wie vielen Leuten sie es zu tun haben würden. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass Calhoun längst tot war und sie ihr Leben ganz umsonst aufs Spiel setzten. Er befand sich in einem Aufklärungseinsatz, eine Aufgabe, die ihm vertraut war. Dabei konnte er ganz in seiner Arbeit aufgehen und musste nicht an seine überbordenden Gefühle denken, als er Dahlias Körper an sich gerissen hatte. Nicht an die Hitze und das Verlangen, die schmerzhafte Gier. Stöhnend schloss er die Augen, schüttelte abermals den Kopf und versuchte mit aller Kraft, Dahlia aus seinem Kopf zu verbannen. Er erkämpfte sich ein gewisses Maß an Ruhe, musste aber erkennen, dass sie bei ihm war, sein Herz umschlungen hielt und so tief in sein Innerstes vorgedrungen war, dass er sie nicht mehr loswurde.
Nicolas schnitt Zweige von einem Strauch ab, der überall entlang des Flussufers wucherte, um sich daraus eine Deckung zu basteln. Er ließ sich Zeit dabei, verwob die Zweige zu einer recht genauen Nachbildung der Büsche, durch die er sich schleichen würde. Er hatte den ganzen Tag Zeit, und er war ein geduldiger Mensch. Er verwandelte
sich selbst in diesen Busch und bewegte sich im Schneckentempo an dem von Schilf überwucherten Flussufer entlang, so langsam, dass er unmöglich entdeckt werden konnte. Er befand sich mitten auf offenem Gelände, lag auf dem Bauch ausgestreckt zwischen wucherndem Unkraut und Buschwerk, robbte unendlich langsam flussaufwärts, bis das alte, baufällige Haus in Sicht kam.
Nicolas fand einen guten Beobachtungsposten, gleich am Fluss im Uferschlamm, wo das Wasser ihn umspülte, Schilf und Büsche wucherten und er eine perfekte Sicht auf seine Zielperson hätte. Während des Tages tat sich nicht viel rund um das Haus. Er zählte drei Wachposten. Einer döste in der Sonne, litt sichtbar unter der Hitze und der Luftfeuchtigkeit und wies sich dadurch als nicht ortsansässig in Louisiana aus. Ein anderer patrouillierte ständig auf und ab, auf immer der exakt gleichen Route, und rauchte dabei Kette. Der dritte Mann nahm seinen Job ernst. Er ignorierte das träge Geplauder der
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