Spiel der Herzen (German Edition)
Vorstellung, mit Annabel Kinder zu zeugen, raubte ihm den Atem. Ihre Kinder würden vermutlich der Rasselbande ähneln, die gerade den Salon auf den Kopf stellte: Sie würden strahlende Augen, rote Wangen, zappelige Beine und ein fröhliches Lachen haben – und seine Augen- oder Haarfarbe oder seine Nase. Und sie würden ihn Vater nennen.
Ein entsetzlicher Gedanke! Kinder zu haben, die von ihm abhängig waren, die seiner Hilfe und Anleitung bedurften und Großes von ihm erwarteten … Es war der reinste Irrsinn. Wie sollte er solchen Erwartungen jemals gerecht werden?
»Schluss für heute!« Annabel ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. »Mir geht die Puste aus.«
»Bitte, Tante Annabel«, bettelte die Jüngste, ein fünfjähriges Mädchen namens Katie. »Noch eins!«
»Ihr bekommt wohl nie genug, Kinder«, sagte Mrs. Lake. »Lasst eure Tante in Ruhe. Sonst singt sie sich noch heiser.«
»Vielleicht könnt ihr Lord Jarret dazu überreden, etwas zu singen«, schlug Annabel verschmitzt vor. »Falls er Lieder kennt, die man in wohlgesitteter Gesellschaft singen kann.«
»Ich kenne einige«, sagte er zu den Kindern, »aber ihr bittet besser einen Fisch, Pianoforte zu spielen. Mich will wirklich niemand singen hören.«
»Das kann ich gar nicht glauben«, protestierte Annabel. »Sie haben so eine hübsche Sprechstimme.«
Er hatte kaum Zeit zu erfassen, dass sie seine Stimme schön fand, da bestürmten ihn die Kinder auch schon und schrien nach einem Lied. Er wehrte sich so lange wie möglich, gab jedoch nach, als die kleine Katie den Daumen in den Mund steckte und ein Gesicht machte, als wollte sie zu weinen anfangen. »Gut«, sagte er, »aber ihr werdet es bereuen.«
Er erhob sich und machte großes Aufheben darum, sich zu räuspern und seltsame Laute von sich zu geben, wie er es bei professionellen Sängern gesehen hatte. Dann stimmte er das einzige Kinderlied an, das ihm einfiel: das von den Karfreitagsbrötchen.
Bei den ersten Tönen starrten ihn die Kinder an, als hätte jemand im Raum einen fahren lassen. Selbst Annabel blinzelte, und Mrs. Lake wirkte geradezu schockiert.
Er sang trotzdem mit großem Enthusiasmus weiter. Er hatte sie schließlich gewarnt. Im Kreis seiner Familie hatte er nie mehr etwas vorsingen dürfen, seit man seiner mangelnden musikalischen Begabung gewahr geworden war. Zum Glück war das Lied kurz, sodass er seine Zuhörer nur ein paar Minuten quälen musste.
Als er fertig war, herrschte eine Weile angespanntes Schweigen im Salon. Dann sagte Annabel mit einem Augenzwinkern: »Das war wohl die schlechteste Interpretation dieses schönen Liedes, die ich jemals gehört habe.«
»Annabel!«, rief Mrs. Lake.
»Keine Angst, ich bin nicht beleidigt«, erklärte er grinsend. »Ich kenne meine Grenzen.«
»Ihr Gesang klingt nach kämpfenden Katzen«, bemerkte Geordie.
»Eher nach jaulenden Katzen – wurde mir jedenfalls gesagt«, entgegnete Jarret. »Gabe behauptet, ich klänge wie eine Geige, auf der jemand herumgetrampelt hat.«
»Oder wie eine Flöte mit einer Walnuss drin«, meinte eins der Kinder.
»Noch mal bitte!«, rief Katie. »Mir hat es gefallen!«
Jarret kniete sich hin und sah die Kleine erstaunt an. »Dir hat es gefallen, Püppchen?« Er drehte sich zu Mrs. Lake um. »Sie haben versäumt, mir zu sagen, Madam, dass in Ihrer Familie der Wahnsinn grassiert.«
Die anderen lachten, doch Katie ließ sich nicht beirren. »Ich weiß nicht, was ›Wahnsinn‹ ist, Sir, aber Ihr Gesang erinnert mich an die Eule, die nachts immer draußen vor dem Fenster schreit. Ich mag Eulen. Können Sie noch ein Lied singen?«
Jarret lachte und gab ihr einen Stups unter das Kinn. »Tut mir leid, mein Mädchen, aber deine Eltern würden mich teeren und federn lassen.«
Sie klatschte in die Hände. »Das klingt aber lustig!«
Er warf Annabel über Katies Kopf hinweg einen belustigten Blick zu. »Deiner Tante würde es gewiss gefallen.« Er beugte sich vor und raunte der Kleinen deutlich vernehmbar zu: »Sie lässt mich nämlich gern leiden.«
Als Annabel errötete, geriet prompt sein Blut in Wallung. Sie sah ihn strafend an und streckte die Hände nach ihren Nichten und Neffen aus. »Kommt, Kinder, es ist Zeit zum Schlafengehen. Lassen wir Seine Lordschaft und euren Papa in Ruhe, damit sie ihr Kartenspiel beenden können, ja?«
»Aber ich will sehen, wie Seine Lordschaft geteert und gefedert wird!«, rief Katie. »Mama, was bedeutet eigentlich ›geteert‹?«
Die Erwachsenen
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