Spiel der Herzen (German Edition)
eine ungehörige Wette mit Tante Annabel eingegangen war und jedem davon erzählt hatte. Lord Jarret, der ihm versichert hatte, er habe ehrliche Absichten gegenüber Tante Annabel, und es nicht ernst gemeint hatte. Die Tante hatte ihm schließlich selbst erzählt, er habe kein Interesse an der Ehe.
Doch auch sie war eine Lügnerin. Sie hatte zwar gesagt, seine Lordschaft habe ihr einen Heiratsantrag gemacht, aber war das die Wahrheit? Vielleicht ja nicht.
Denn sie hatte gelogen, als sie Vater gesagt hatte, zwischen ihr und Lord Jarret sei außer dieser Wette nichts gewesen – er war sich ziemlich sicher, dass Lord Jarret sie geküsst hatte. Und in Daventry, als sie nach dem Regen vom Markt zurückgekehrt waren, hatten sie beide sehr schuldbewusst dreingeblickt, so als hätten sie etwas Unrechtes getan. Außerdem sahen sie sich so an … wie Mutter und Vater sich manchmal ansahen.
Oh Gott, und wenn Lord Jarret Tante Annabel tatsächlich ein Kind gemacht hatte? George wusste nicht genau, wie er sich das vorzustellen hatte, aber es hatte etwas mit Küssen und Bett zu tun. Und wenn es Lord Jarret bei der Wette darum gegangen war, Tante Annabel in sein Bett zu bekommen …
George schlug mit der Faust auf den Boden. Wenn sie nun ein Baby im Bauch hatte, geriet die ganze Familie in Verruf, weil Tante Annabel seinetwegen nicht heiraten wollte. Und wenn Lord Jarret herumerzählte, dass er ein Bankert war, geriet die ganze Familie ebenfalls in Verruf. Seinetwegen.
Falls es so weit kam, würden sie ihm die Schuld geben, und jeder würde wissen, dass er ein Bankert war. Das durfte nicht passieren.
Es gab nur einen Ausweg. Er musste Lord Jarret irgendwie dazu bringen, Tante Annabel zu heiraten und nach London zu holen. Dann konnte alles wieder so werden, wie es vorher gewesen war.
Außer dass es keine Tante Annabel mehr geben würde, die sich um ihn kümmerte. Die ihm heiße Schokolade ins Kinderzimmer schmuggelte, wenn Vater sich wie ein Esel benahm. Die ihm etwas vorsang, wenn er einen Albtraum hatte. Die mit ihm zum Markt fuhr, um die Pferde anzusehen, die zur Versteigerung kamen.
Allmählich dämmerte ihm, dass sie diese Dinge getan hatte, weil sie seine Mutter war.
Er schluckte. Sie konnte nicht seine Mutter sein – er würde es nicht zulassen! Er würde Lord Jarret bitten, sie wegzuholen, was er ohnehin wegen des Geredes tun sollte, hatte Vater gesagt. Er würde den Lord dazu bringen, noch einmal nach Burton zurückzukehren und sie zu heiraten, ob sie nun wollte oder nicht.
Aber wie?
Ein Brief genügte nicht. Lord Jarret beachtete ihn vielleicht gar nicht. Nein, George musste ihn persönlich aufsuchen.
Ihm drohte sich abermals der Magen umzudrehen. Nach London fahren? Ganz allein? Seine Eltern würden ihn umbringen. Er runzelte die Stirn. Er hatte eigentlich gar keine Eltern, nicht wahr? Nur eine Mutter, die sich für ihn schämte.
Komm, du weißt, sie würden sich Sorgen machen, ermahnte ihn sein Gewissen.
Und wenn schon! Sie hatten es verdient zu leiden. Sie hatten ihn belogen.
Vielleicht würde es sie aber auch gar nicht kümmern, wenn er weg war. Er war ein Bankert, eine Schande. Allerdings nur, wenn er diese Sache nicht in Ordnung brachte. Wenn er tat, was nötig war, würde alles gut werden.
Er malte sich den Tag aus, an dem er mit Lord Jarret nach Burton zurückkehren würde. Lord Jarret würde Tante Annabels Herz im Sturm erobern und sie dazu bringen, ihn zu heiraten, und er selbst würde der große Held sein, der die beiden zusammengebracht hatte. Dann würden alle vergessen, dass er ein Bankert war. Und alles würde wieder sein wie vorher. Das war das Wichtigste.
Wie konnte er also nach London kommen? Als er mit Mutter und Tante Annabel hingefahren war, hatten sie die Postkutsche genommen. Sie fuhr um Mitternacht an der Postkutschenstation ab. Er sollte sich also problemlos aus dem Haus schleichen können, und man würde sein Verschwinden erst am Morgen bemerken. In London musste er dann eine Droschke nehmen, um zu der Brauerei zu kommen, wo seine Lordschaft anzutreffen war.
Jetzt musste er sich nur noch überlegen, wie er in die Kutsche kam. Er war ziemlich sicher, dass das Geld, das ihm seine Großeltern zu Weihnachten geschenkt hatten, für eine Fahrkarte genügte. Und da er nur einmal in der Postkutschenstation gewesen war, glaubte er nicht, dass sich jemand an ihn erinnern oder ihn erkennen würde.
Aber der Kutscher ließ einen Jungen in seinem Alter vielleicht nicht allein mitfahren. Er
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