Spiel der Herzen (German Edition)
Cranley ein minderwertiges Bier aus. Sie nahm einen Schluck und rümpfte die Nase, und weil sie zu beschäftigt damit war, die Qualität des Bräus zu beurteilen, bemerkte sie nicht, dass Sissy das Mädchen anwies, einen der Teller wieder in die Küche mitzunehmen.
»Die Herrin hat mir befohlen, ihn Seiner Lordschaft zu geben«, erwiderte das Mädchen und versuchte, an ihr vorbeizukommen, um Lord Jarret den Teller hinzustellen.
Sissy nahm ihn dem Mädchen rasch aus der Hand. »Er kann den anderen haben.« Während das Dienstmädchen abermals protestierte, begann Sissy einfach von dem Teller zu essen. Das Mädchen zuckte mit den Schultern und bediente Geordie.
»Wir haben doch alle das Gleiche, Mutter«, sagte Geordie. »Ich habe Lord Jarret gesagt, dass ihr eine gute Schweinelende zu schätzen wisst.«
»Oh ja, ich auf jeden Fall«, sagte sie und nahm noch einmal einen großen Bissen. Dann verzog sie das Gesicht.
Lord Jarret kniff argwöhnisch die Augen zusammen. Dann nahm er ihr kurzerhand den Teller ab und besah ihn prüfend. »Das können Sie nicht essen!«
Nun schaute auch Annabel genauer hin. Von der ungesunden Farbe des Fleisches und seinem ranzigen Geruch wurde ihr sofort übel. Sie sah sich die anderen Teller an, aber die sahen völlig in Ordnung aus.
»Diese klatschsüchtige Hexe hat dir verdorbenes Fleisch gegeben, Sissy!«, rief sie. »Wie kann sie es nur wagen! Ich werde ihr gehörig den Marsch blasen!«
Als sie sich erheben wollte, zog Lord Jarret sie wieder auf ihren Stuhl. »Es war nicht für Mrs. Lake bestimmt, sondern für mich.«
»Es war sicherlich nur ein Irrtum«, sagte Sissy matt.
»Der einzige Irrtum war, dass ich mich dafür ausgesprochen habe, zum Essen hierzubleiben.« Lord Jarret stand auf und warf das verdorbene Essen in den Abfalleimer. Dann ging er zu Sissy und bot ihr seinen Arm. »Kommen Sie, wir fahren weiter und essen in der nächsten Stadt.«
Glücklicherweise ließ sie sich widerspruchslos von ihm zur Tür führen.
»Wie viel hast du davon gegessen?«, fragte Annabel sie.
»Nicht viel«, entgegnete Sissy.
»Zu viel«, befand Lord Jarret. »Es tut mir leid, Mrs. Lake. Mir war nicht klar, weshalb Sie den Teller an sich genommen haben. Und dass Ihre Freundin Sie unbedingt meinen Klauen entreißen wollte.«
»Sie hat es gewiss nicht –«
»Wage es nicht, dich noch einmal für diese Frau zu entschuldigen«, sagte Annabel aufgebracht. »Du kannst doch nichts dafür, Sissy. Es ist deine angebliche Freundin, die erschossen werden sollte!«
An der Tür wartete Mrs. Cranley auf sie und bedachte Lord Jarret mit bösen Blicken. Er erstarrte, gab Sissys Arm frei und sagte leise zu Annabel: »Gehen Sie schon einmal zur Kutsche. Ich komme gleich nach.«
»Wie hat Ihnen Ihr Essen geschmeckt, gnädiger Herr?«, erdreistete sich die Frau zu fragen, als Annabel mit Sissy und Geordie nach draußen ging.
»Wenn Sie das nächste Mal jemanden vergiften wollen, Madam«, hörte sie Lord Jarret sagen, »dann sorgen Sie dafür, dass das Dienstmädchen Ihre Anweisungen genau befolgt. Bevor ich es unterbinden konnte, hat Mrs. Lake mehrere Bissen von dem Fleisch genommen, das Sie für mich vorgesehen hatten.«
Annabel drehte sich um und sah, wie Mrs. Cranley erbleichte. »Ich hoffe, Sie erfreuen sich an den Folgen Ihres törichten Plans, Ihre Freundin vor mir zu ›retten‹! Denn wenn sie stirbt, zeige ich Sie wegen versuchten Mordes an. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«
»Gnädiger Herr, ich habe nicht … Es muss …«
Annabel zog Sissy zu der Kutsche. Obwohl es ihr gut zu gehen schien, machte Annabel sich Sorgen. Es war typisch für Sissy, dass sie versuchte, das Verhalten ihrer Freundin zu vertuschen und den Fehler auf sich zu nehmen. Es war einfach nicht gerecht.
Annabel hatte Mrs. Cranley schon vorher nicht gemocht, aber nun hasste sie sie geradezu. Wer tat denn so etwas Törichtes? Und nur wegen irgendwelcher Klatschgeschichten! Diese Frau war strohdumm – wenn Sissy es doch nur begreifen würde!
Lord Jarret hatte es begriffen, war jedoch locker mit der ganzen Sache umgegangen, als sei er es gewohnt, dass man über ihn tratschte. Und er musste es gewohnt sein, denn wenn Annabel die Geschichten sogar schon in Burton gehört hatte, dann kannte sie wohl jeder.
Doch an dieser speziellen Geschichte war sie schuld. Der Gedanke quälte sie noch, als sie in der Kutsche saßen und die nächste Stadt ansteuerten. Obwohl Sissy eine kräftige Mahlzeit zu sich nahm, als sie
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