Spiel der Magier
er auch den stillen Winkel, in dem das andere Bewußtsein wohnte. Er konnte fast dessen spöttische Belustigung spüren.
»Nun?« sagte er schweigend zu ihm.
»Ich sehe, daß du schließlich doch noch wach geworden bist.«
»Nein«, berichtigte Garion penibel, »eigentlich schläft ein Teil von mir, glaube ich.«
»Das ist der Teil, der immer im Weg stand. Wir können jetzt reden. Wir haben viel zu besprechen.«
»Wer bist du?« fragte Garion und folgte unbewußt Tante Pols Anweisung, sein Pferd wieder zu besteigen.
»Ich habe eigentlich keinen Namen.«
»Du bist von mir getrennt, nicht wahr? Ich meine, du bist nicht einfach ein Teil von mir, oder?«
»Nein«, antwortete die Stimme. »Wir sind völlig unabhängig voneinander.«
Die Pferde gingen jetzt im Schritt hinter Tante Pol und Meister Wolf her über das Grasland.
»Was willst du?« fragte Garion.
»Ich muß dafür sorgen, daß die Dinge so werden, wie sie sollen. Das tue ich schon sehr lange.«
Garion dachte darüber nach. Um ihn herum wurde das Wehgeschrei lauter, und der Jammerchor und die Schreie wurden deutlicher. Dünne, nur halbgeformte Umrisse tauchten auf und schwebten über das Gras auf die Pferde zu. »Ich werde verrückt, nicht wahr?« fragte er bedauernd. »Ich schlafe nicht wie die anderen, und die Geister werden mich in den Wahnsinn treiben, oder?«
»Ich bezweifle es«, antwortete die Stimme. »Du wirst einiges sehen, was du wahrscheinlich besser nicht sähest, aber ich glaube nicht, daß es deinen Verstand zerstören wird. Vielleicht lernst du sogar etwas über dich, was später nützlich ist.«
»Du bist sehr alt, nicht wahr?« fragte Garion, als ihm dieser Gedanke kam.
»Der Begriff bedeutet in meinem Fall nichts.«
»Älter als Großvater?« beharrte Garion.
»Ich kannte ihn, als er noch ein Kind war. Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du weißt, daß er noch sturer war als du. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich ihn auf den Weg gebracht hatte, den er einschlagen sollte.«
»Hast du es in seinem Geist getan?«
»Natürlich.«
Garion bemerkte, daß sein Pferd blind durch eine der nebelhaften Gestalten ging, die vor ihm Form annahm. »Dann kennt er dich, nicht wahr – wenn du in seinem Geist warst.«
»Er wußte nicht, daß ich dort war.«
»Ich wußte schon immer, daß du da bist.«
»Du bist anders. Das ist es auch, worüber wir sprechen müssen.«
Recht plötzlich erschien der Kopf einer Frau unmittelbar vor Garions Gesicht in der Luft. Die Augen traten hervor, und der Mund war weit aufgerissen zu einem lautlosen Schrei. Aus dem zerfetzten, abgehackten Stumpf des Halses strömte Blut, das in Nichts zu tropfen schien. »Küß mich!« krächzte er. Garion schloß die Augen, als sein Gesicht durch den Kopf glitt.
»Siehst du«, meinte die Stimme im Gesprächston, »es ist gar nicht so schlimm, wie du dachtest.«
»Inwieweit bin ich anders?« wollte Garion wissen.
»Etwas muß getan werden, und du bist derjenige, der es tun muß. Alle anderen sind nur die Vorbereitung für dich gewesen.«
»Was genau muß ich tun?«
»Du wirst es erfahren, wenn die Zeit kommt. Wenn du es zu früh herausfindest, jagt es dir vielleicht Angst ein.« Die Stimme nahm einen trockenen Tonfall an. »Du bist schon schwierig genug zu lenken, auch ohne zusätzliche Komplikationen.«
»Warum sprechen wir dann darüber?«
»Du mußt lernen, weshalb du es tun mußt. Das hilft dir vielleicht, wenn es soweit ist.«
»Also schön.«
»Vor sehr langer Zeit geschah etwas, das nicht hätte geschehen sollen«, begann die Stimme in seinem Geist zu erzählen. »Das Universum wurde zu einem bestimmten Zweck geschaffen, und es bewegte sich gemächlich auf dieses Ziel zu. Alles geschah, wie es geschehen sollte, aber dann ging etwas schief. Es war eigentlich nichts sehr Großes, aber es geschah genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit oder vielleicht besser am falschen Ort zur falschen Zeit. Jedenfalls, es veränderte die Richtung der Ereignisse. Kannst du das verstehen?«
»Ich glaube schon«, sagte Garion, stirnrunzelnd vor Anstrengung. »Ist es, wie wenn man einen Stein nach etwas wirft, aber er trifft etwas anderes und fällt irgendwohin, wo man ihn nicht haben will wie damals, als Doroon den Stein nach einer Krähe geworfen hat, er aber einen Ast traf, der abbrach und statt dessen Faldors Fenster kaputtschlug?«
»Genau das ist es«, gratulierte die Stimme ihm. »Bis zu diesem Punkt hatte es immer nur eine Möglichkeit gegeben – die
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