Spiel der Magier
seufzte er verdrossen. »Wir können wohl genausogut hier und jetzt mit ihm reden, Pol. Wenn wir es nicht tun, wird er uns doch nur folgen.«
»Das ist doch Zeitverschwendung, Vater«, erwiderte Tante Pol. »Es hat keinen Sinn, mit ihm zu argumentieren. Wir haben es doch früher schon versucht.«
»Du hast vermutlich recht«, gab er zu, »aber wir sollten es wenigstens versuchen. Aldur wäre enttäuscht, wenn wir es nicht täten. Wenn er begreift, was geschieht, wird er vielleicht wenigstens so zugänglich, daß wir mit ihm reden können.«
Ein markerschütternder Wehschrei hallte über das Grasland wider, und Meister Wolf verzog das Gesicht. »Man sollte meinen, daß er sich inzwischen seinen Kummer heraus geschrien hätte. Also gut, gehen wir nach Mar Amon.« Er führte sein Pferd auf den Hügel zu, den der glutäugige Mönch ihnen gewiesen hatte. Ein verstümmelter Geist schnatterte auf ihn ein. »Ach, laß das!« sagte er gereizt. Mit einem verblüfften Aufflackern verschwand der Geist.
Irgendwann in der Vergangenheit hatte vermutlich einmal eine Straße über den Hügel geführt. Im Gras waren noch schwache Spuren davon sichtbar, aber es waren immerhin dreitausendzweihundert Jahre vergangen, seit etwas Lebendes seinen Fuß auf sie gesetzt hatte. Sie ritten den Hügel hinauf und blickten hinunter auf die Ruinen von Mar Amon. Garion, immer noch ungerührt und gleichgültig, erkannte und erschloß vieles über diese Stadt, das er sonst nicht bemerkt hätte. Obwohl die Zerstörung fast vollkommen gewesen war, waren die Umrisse der Stadt noch deutlich erkennbar. Die Straße denn es gab nur eine war spiralförmig angelegt und wand sich nach innen auf einen großen, kreisförmigen Platz zu, der exakt im Mittelpunkt der Ruinen lag. Eine plötzliche Einsicht brachte Garion zu der Überzeugung, daß eine Frau diese Stadt entworfen hatte. Ein männlicher Verstand neigte zu geraden Linien, aber Frauen dachten mehr in Kreisen.
Mit Tante Pol und Meister Wolf an der Spitze und den anderen in hölzerner Wahrnehmungslosigkeit hinterher, begannen sie den Abstieg zur Stadt. Garion bildete das Schlußlicht und bemühte sich, die Geister, die sich vor ihm erhoben und ihm ihre Nacktheit und ihre gräßlichen Verstümmelungen präsentierten, zu ignorieren. Das Klagen, das mit dem Augenblick eingesetzt hatte, seit sie Maragor betreten hatten, wurde lauter, deutlicher. Die Klage war manchmal wie ein Chor erschienen, verschwommen und durch Echos entstellt, aber nun stellte Garion fest, daß es sich um eine einzige, mächtige Stimme handelte, erfüllt von einem so überwältigenden Kummer, daß sie durch das ganze Reich widerhallte.
Als sie sich der Stadt näherten, schien ein schrecklicher Wind aufzukommen, tödlich kalt und einen unerträglichen Pesthauch mit sich bringend. Als Garion automatisch seinen Mantel fester um sich ziehen wollte, bemerkte er, daß der Mantel in keiner Weise im Wind flatterte, und daß sich das hohe Gras, durch das sie ritten, nicht bewegte. Er dachte darüber nach und versuchte dabei, seine Nase vor dem fauligen Gestank nach Verfall und Verderben zu verschließen, den der geisterhafte Wind mit sich trug. Wenn der Wind das Gras nicht bewegte, konnte es auch kein echter Wind sein. Außerdem, wenn die Pferde das Wehklagen nicht hören konnten, war auch dies nicht echt. Ihm wurde kälter, obwohl er sich sagte, daß die Kälte, wie der Wind und das kummervolle Heulen, eher geisterhaft als wirklich war.
Da Mar Amon auf den ersten Blick wie eine völlige Ruine gewirkt hatte, war Garion überrascht, die festen Häuserwände und Gebäude um sich herum zu sehen, als sie in die Stadt kamen. Irgendwo in nicht allzu weiter Ferne schien er sogar das Lachen von Kindern zu hören. Auch konnte man weit weg jemanden singen hören.
»Warum hält er das alles in Gang?« fragte Tante Pol traurig. »Es führt doch zu nichts.«
»Es ist alles, was er noch hat, Pol«, erwiderte Meister Wolf.
»Es endet ja doch immer gleich.«
»Ich weiß. Aber für eine kleine Weile hilft es ihm zu vergessen.«
»Jeder von uns hat etwas, das er lieber vergessen möchte, Vater. Aber das ist kein Weg.«
Wolf betrachtete bewundernd die massiv wirkenden Häuser. »Es ist sehr gut, weißt du.«
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Er ist schließlich ein Gott – aber es ist trotzdem nicht gut für ihn.«
Erst als Baraks Pferd versehentlich direkt durch eine der Mauern schritt auf der einen Seite in den anscheinend massiven Steinen
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