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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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überhaupt mit ihm sprach, wusste sie nicht zu sagen. Eine rätselhafte Anziehung ging von ihm, von seiner Stimme, von seiner ganzen unsichtbaren Erscheinung aus, die Cyn gleichermaßen faszinierte wie beunruhigte.
    Plötzlich war über ihr ein Geräusch zu hören.
    Ein leises Rasseln.
    Sie schaute hinauf und konnte im Halbdunkel sehen, wie etwas von der hohen Decke herabgelassen wurde. Zuerst konnte Cyn nicht erkennen, was es war, doch als es näher kam, konnte sie es deutlich sehen.
    Es war eine Laterne – allerdings eine, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    Sie war rund wie ein Ball und aus einem kunstvoll bearbeiteten, gelblichen Metall gefertigt, vermutlich Messing. Der Durchmesser mochte rund eine Elle betragen. Am außergewöhnlichsten jedoch waren die unzähligen kleinen und großen Öffnungen, die den Laternenkörper übersäten und in die kreisrunde Glasstücke eingesetzt waren. In den Sockel waren Verzierungen eingearbeitet, Zeichen einer fremden Schrift, die Cyn weder lesen konnte noch jemals zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht stammte sie aus dem Orient, vielleicht auch aus Asien. Cyn nahm an, dass die Laterne, die an einer langen Kette von der Decke hing, ziemlich alt war. Etwas Unangenehmes, fast Bedrohliches schien von ihr auszugehen, was vermutlich an den vielen Öffnungen lag, die auf sie wie dunkle tote Augen wirkten.
    »Was ist das?«, fragte sie staunend.
    »Warte noch einen Augenblick«, bat sich Milo aus, und zum ersten Mal verließ er seine Nische. Im Halbdunkel konnte Cyn auch weiterhin nicht mehr von ihm erkennen als einen dunklen Schemen, doch plötzlich flammte im Inneren der Laterne, die weder von Wachs noch von Öl oder Gas genährt zu werden schien, ein Licht auf, und sie begann zu leuchten. Allerdings nicht in jenem gelblichen Schein, der von gewöhnlichen Laternen ausging, sondern in einem matten kalten Grün.
    Einen Moment lang war es so hell, dass Cyn ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen schließen musste. Als sie sie wieder öffnete, verbreitete die Laterne durch ihre vielen Öffnungen einen gleichmäßigen fahlen Schein, und Milo hatte sie wieder ein Stück zur Decke hinaufgezogen. Doch das eigentlich Erstaunliche war nicht das Licht, das von der Laterne ausging.
    Es waren die Schatten.
    Jene Silhouetten, die sie auf die Rückseiten der Kulissen und auf die umliegenden Wände warf!
    Cyn sah die Umrisse von Menschen, die auf und ab flanierten und einander begegneten. Bald grüßten sie einander freundlich, bald blieben sie stehen, um sich zu unterhalten; bald fanden sie zu kleinen Gruppen zusammen, bald zogen sie wieder ihrer Wege. Es war eine Szene, wie sie an einem schönen Sonntagnachmittag im Hyde Park zu finden war. Mit vor Staunen offenem Mund drehte Cyn sich um die eigene Achse, war einige Sekunden lang völlig fasziniert von der Szenerie, die die geheimnisvolle Laterne vor ihren Augen entfaltete.
    Erst dann wurde ihr klar, dass etwas nicht stimmte.
    Denn zum einen waren dort an den Wänden zwar Schatten, die sich bewegten und sich unterhielten, die, kurz gesagt, ein Eigenleben zu besitzen schienen – aber keine Menschen, die diese Schatten warfen! Und zum anderen konnte Cyn hören , was sie untereinander sprachen.
    »Guten Tag, Meister Finch! Ist dies nicht eine wunderbare Nacht?«
    »In der Tat, werter Freund! Wie geschaffen für einen Spaziergang.«
    »Haben Sie von den jüngsten Vorfällen im East End gehört?«
    »Skandalös, nicht wahr? Ich denke, dass wir unbedingt etwas in dieser Sache unternehmen sollten.«
    Die Schatten bewegten sich nicht nur.
    Sie lebten tatsächlich!
    Die Erkenntnis war so erschreckend, dass Cyn ein Schrei entfuhr. Panisch wich sie zurück, blickte zu der Laterne empor, durch deren Öffnungen grüne Lichtstrahlen fielen – und plötzlich erinnerte sie sich der Worte ihres Vaters. Hatte der alte Horace im Fieber nicht von einem mysteriösen Licht gesprochen? Von leuchtenden Augen?
    Die Erkenntnis, dass er die Laterne gemeint hatte, traf Cyn mit der Wucht eines Faustschlags – als hinter ihr plötzlich eine vertraute Stimme erklang.
    »Ruhig, mein Kind«, sagte sie sanft und beruhigend.
    Cyn erkannte die Stimme sofort.
    Es war die ihres Vaters.

13
    SCHRECKLICHE ERKENNTNIS
    »Vater?«
    Cyn fuhr herum.
    Jemand stand vor ihr im gespenstisch grünen Licht. Jemand, der nicht sehr groß war und von untersetztem Wuchs, dessen Haar spärlich und dessen Gesicht wegen des Backenbarts ungewöhnlich breit war; jemand, der die Arme in

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