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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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…«
    »Was tust du dann hier?«
    Cyn dachte kurz nach, legte sich eine Ausflucht zurecht, die einigermaßen plausibel klang. »Ich war in der Vorstellung«, berichtete sie. »Was ich gesehen habe, hat mich wirklich sehr beeindruckt. Deshalb habe ich mich hinter die Kulissen geschlichen, um zu sehen, wie …«
    »Du lügst«, stellte der Junge mit derselben Überzeugung fest, mit der auch der Theaterdiener gesprochen hatte. »Du bist nicht im Publikum gewesen.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Cyn verblüfft.
    »Wenn du dabei gewesen wärst, würde ich es erkennen«, sagte der Junge in einem Tonfall, der keinen Zweifel zuließ.
    »Also gut.« Cyn seufzte. »Ich bin nicht in der Vorstellung gewesen. Ich habe mich erst in das Theater geschlichen, als sie zu Ende war.«
    »Warum?«
    »Wegen dieser Puppe«, erwiderte Cyn und hob den Puck hoch. »Mein Vater war vor einigen Tagen hier und hat sie verloren.«
    »Und?«
    »Die Puppe bedeutet ihm sehr viel«, versuchte Cyn zu erklären. »Und mir ehrlich gesagt auch«, fügte sie leise hinzu.
    »Weshalb? Wozu ist diese Puppe gut?«
    »Wozu sie gut ist?« Cyn hob die Brauen.
    »Du bist widerrechtlich hier eingedrungen, um das Ding zurückzuholen«, brachte der Schatten unbarmherzig in Erinnerung. »Also muss es doch zu irgendetwas nütze sein.«
    »Nun, es ist … eine Puppe«, erklärte Cyn etwas unbeholfen, »nicht mehr und nicht weniger. Bisweilen hängen Menschen eben an Dingen, auch wenn es keinen erkennbaren Grund dafür gibt.«
    »Ist sie besonders wertvoll?«
    »Nein«, versicherte Cyn und verbesserte sich gleich darauf. »Ja … in gewisser Hinsicht. Es sind die Erinnerungen, die diese Puppe wertvoll machen.«
    »Diese Puppe erinnert dich an etwas?«
    Cyn nickte.
    »Woran?«
    »Du bist ganz schön neugierig.« Cyn konnte nicht anders, als einen tadelnden Blick in die dunkle Ecke zu werfen. »Der Puck ist wie ein Freund für uns«, erklärte sie dann. »Ein Mitglied unserer Familie.«
    »Der Puck?«
    »So heißt er. Er arbeitet am Theater, genau wie ich.«
    Der Junge lachte spöttisch auf. »Du redest Unsinn. Eine Puppe kann nicht am Theater arbeiten.«
    »Ich sage die Wahrheit«, beteuerte Cyn.
    »Dann beweise es.«
    »Wie denn?«
    »Spiele mir etwas vor.«
    »Ich soll dir etwas vorspielen?« Cyn überlegte. Vielleicht war die Idee gar nicht schlecht. Womöglich konnte sie sich die Wissbegier des Jungen zunutze machen. »Wenn ich das tue, versprichst du dann, mich nicht zu verraten?«, fragte sie.
    »Nein«, kam es unerbittlich aus dem Halbdunkel zurück. »Aber ich verspreche dir, dass ich augenblicklich die Polizei rufen werde, wenn du dich weigerst, mir etwas vorzuspielen. Ich bin ziemlich gespannt, was die Constables zu deiner Geschichte sagen werden.«
    Cyn schnitt eine Grimasse. Die Art und Weise, wie der Junge mit ihr sprach, gefiel ihr nicht. Er war frech, geradezu unverschämt, und das, obwohl er sich die ganze Zeit über noch nicht aus seiner dunklen Nische herausgewagt hatte. Aber so wie die Dinge lagen, hatte sie keine andere Wahl.
    Sie seufzte resigniert, dann schlüpfte sie mit der linken Hand in die Puppe, wie ihr Vater es zu tun pflegte. Als Kind hatte sie ab und zu mit dem Puck gespielt, und ihr Vater hatte versucht, ihr die Kunst des Bauchredens beizubringen. Allerdings war sie darin längst nicht so gut wie er.
    Cyn räusperte sich verlegen. Dann begann sie, Shakespeare zu rezitieren und gab sich Mühe, die Lippen dabei so ruhig wie nur irgend möglich zu halten, während sie den Puck in seiner Paraderolle auftreten ließ. Und tatsächlich gelang es ihr, den kleinen Waldschrat so quicklebendig agieren zu lassen, dass man hätte glauben können, die Worte kämen aus seinem hölzernen Mund:
    Der König will sein Wesen nachts hier treiben.
    Warnt nur die Königin, entfernt zu bleiben,
    Weil Oberon vor wildem Grimme schnaubt,
    Dass sie ein indisch Fürstenkind geraubt,
    Als Edelknabe künftig ihr zu dienen;
    Kein schöners Bübchen hat der Tag beschienen,
    Und eifersüchtig fordert Ob’ron ihn,
    Den rauhen Forst als Knappe zu durchziehn;
    Doch sie versagt durchaus den holden Knaben,
    Bekränzt ihn, will an ihm sich einzig laben.
    Nun treffen sie sich nie in Wies und Hain,
    Am klaren Quell, bei lust’gem Sternenschein;
    So zanken sie zu aller Elfen Schrecken,
    Die sich geduckt in Eichelnäpfe stecken. *
    Sie verstummte, blickte unsicher in Richtung der Nische, wo sie den Jungen noch immer vermutete.
    »Das ist aus Shakespeares

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