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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Vorteil, wenn man ein Teil der Laterne ist. Schon bald wirst auch du das genießen.«
    »Was du nicht sagst«, knurrte Cyn in einer Mischung aus Abscheu und Verzweiflung. »Ich kann es kaum erwarten.«
    »Wüsstest du, was ich weiß, würdest du nicht so sprechen«, war Milo überzeugt und ließ seine zur Bedrohung gewordene Gestalt wieder schrumpfen. »Du ahnst nicht, wie es ist, ein Schatten zu sein. Ein Dasein ohne Einschränkung, ein Leben in vollkommener Freiheit! Die Welt der Menschen ist schmutzig und schlecht. Was ist dort zu finden außer Elend und Tod und Gewalt? In der Laterne jedoch herrscht absoluter Frieden, denn alle sind einander gleich.«
    »Tatsächlich?«, hakte Cyn nach. »Wenn alle einander gleich sind, wie können sie dann frei sein? Sagtest du nicht, den Schatten wären keine Beschränkungen auferlegt?«
    »Ich erwarte nicht, dass du das verstehst. Die Freiheit liegt in unserer Gemeinsamkeit. Eine Seele, die von ihrem Körper befreit wurde, unterliegt nicht mehr dessen Zwängen. Sie muss weder essen noch trinken und deshalb auch nicht hungern. Sie ist keinem Mangel unterworfen, keiner Krankheit, keinem Zwang. Davon hat die Menschheit immer geträumt, oder nicht?«
    »Das ist wahr«, räumte Cyn ein, »aber zu welchem Preis? Was habt ihr dafür aufgegeben? Wenn ihr nicht esst und nicht trinkt, wie könnt ihr dann wissen, was Genuss ist?«
    »So etwas gibt es nicht in unserer Welt, und es ist auch nicht notwendig. Wir nehmen wahr, was um uns herum geschieht, aber wir schmecken nichts und riechen nichts.«
    »Soll das heißen, dass du nicht weißt, wie süß reife Pflaumen schmecken?«, fragte Cyn fassungslos. »Dass du noch nie den Duft einer Orange gerochen hast? Oder frischen Apfelkuchen, wenn er duftend und heiß aus dem Ofen kommt?«
    »Nein«, musste Milo zugeben, »aber …«
    »Das sind einfache Freuden«, fiel Cyn ihm ins Wort, »aber sie sind da draußen, an jedem einzelnen Tag. Man kann sie riechen, schmecken und anfassen. Wann hast du zum letzten Mal etwas angefasst, Milo? Wann hast du etwas gesehen, das deine Neugier geweckt hat?«
    »Ich weiß es nicht«, schnarrte es zurück. »Und es ist auch nicht von Bedeutung.«
    »Weil es dir gleichgültig geworden ist«, konterte sie, »so wie es meinem Vater und allen anderen gleichgültig geworden ist, die ihrer Schatten beraubt wurden – und das ist eure Vorstellung von Vollkommenheit? Wie vollkommen seid ihr, wenn euch all diese kleinen Dinge verschlossen bleiben und ihr niemals in der Lage sein werdet, sie zu erfahren? Hast du dieses Theater überhaupt schon einmal verlassen?«
    »Natürlich habe ich das!«
    »Aber es ist lange her, nicht wahr? Wäre es anders, würdest du wissen, dass nicht alles dort draußen so schlecht ist, wie du denkst. Wenn du tatsächlich meine Gedanken durchschauen kannst, dann sieh in mein Inneres, Milo.«
    »Wozu?«
    »Damit du siehst, dass in der Welt der Menschen auch Freude ist und Fürsorge und Liebe …«
    »Und? Was heißt das schon? Liebe ist etwas, womit sich die Menschen gegenseitig betrügen und einander Schmerz zufügen.«
    »Das ist nicht wahr. Wissen Schatten denn überhaupt, was Liebe ist? Sind sie einander zugetan?«
    »Dazu besteht keine Veranlassung.«
    »Und das nennt ihr Vollkommenheit? Wenn ihr nicht in der Lage seid, Liebe zu empfinden? Euch gegenseitig Freundschaft und Zuneigung zu schenken?«
    »Wen interessiert das?« Milo wirkte plötzlich aufgebracht. »Dafür sind wir zu vielen anderen Dingen fähig! Dingen, von denen sterbliche Menschen nur träumen können!«
    »Das bezweifle ich nicht«, versicherte Cyn, die zu ihrer eigenen Verblüffung feststellte, dass ihre Gelassenheit im selben Maße zunahm, wie die des Schattens schwand. »Aber wenn es darum geht, frei zu fühlen und zu empfinden, dann seid ihr dazu nicht in der Lage!«
    »Das genügt!«, blaffte es in ihrem Kopf. »Schweig!«
    »Warum? Weil ich eure Schwachstelle entdeckt habe? Den Makel eurer angeblichen Vollkommenheit? Was ihr Freiheit nennt, ist nur eine Täuschung. Jeder Mensch, der dort draußen in der Gosse sitzt und um seinen Lebensunterhalt bettelt, ist freier, als ihr es seid.«
    »Schweig, habe ich gesagt!«
    Die Worte dröhnten durch ihren Kopf, bebend vor ungezügeltem Zorn. Dennoch dachte Cyn nicht daran, sich zu fügen. Erstmals, seit sie das Caligorium betreten hatte, hatte sie das Gefühl, in der stärkeren Position zu sein, und dieses Gefühl verlieh ihr neuen ungeahnten Mut.
    »Kannst du die Wahrheit nicht

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