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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Boden fielen. Sie sprang auf und hielt die Hand auf, um eine von ihnen aufzufangen.
    »Sieh dir das an«, stieß sie hervor. »Schnee!«
    »Und?«, fragte der Junge nur. »Es ist Herbst.«
    »Ich weiß. Trotzdem kommt es mir immer wie ein Wunder vor, wenn es schneit.« Sie schaute zu, wie die Flocke auf ihrer Handfläche schmolz. »Wusstest du, dass jede Flocke aus winzig kleinen Eiskristallen besteht?«
    »Nein«, gab Milo zu, »das wusste ich nicht. Ehrlich gesagt habe ich sie mir nie aus der Nähe angesehen.«
    »Wie schade.« Sie legte den Kopf in den Nacken und streckte die Zunge heraus, damit die Flocken darauffielen.
    »Was in aller Welt tust du da?«
    »Hast du das noch nie gemacht?«, fragte sie lachend. »Noch nicht einmal als Kind?«
    »Natürlich nicht.«
    Cyn unterbrach den Flockenfang. Ihre Ausgelassenheit war schon wieder verflogen. »Was für eine Kindheit hast du nur gehabt? Hast du nie einen Schneemann gebaut? Nie eine Schneeballschlacht gemacht? Noch nie mit den Flocken getanzt?«
    Inzwischen war der Schneefall stärker geworden. Eine dünne weiße Schicht überzog die Wiesen und Bäume und ließ den Park im ausgehenden Tageslicht tatsächlich wie ein Wunderland wirken. Selbst der grässliche Megalosaurus wirkte nun weniger furchterregend, seit er mit unschuldigem Weiß überzuckert war.
    »Mit den Schneeflocken tanzen? Wie soll denn das gehen?«, wollte Milo zweifelnd wissen.
    Cyn legte den Kopf schief und lauschte. Vom nahen Kristallpalast, in dem man inzwischen die Laternen entzündet hatte, sodass das gläserne Gebäude weithin sichtbar leuchtete, drang leise Musik. Die allabendliche Serenade hatte begonnen, ein Streichquartett entlockte seinen Instrumenten sanfte Töne.
    Cyn schloss die Augen und bewegte sich im Rhythmus hin und her. Dann begann sie, sich im Kreis zu drehen und über den Weg zu wirbeln, so schnell ihre schäbigen Schuhe es zuließen. Durch die Schleier der immer dichter fallenden Flocken hindurch tanzte sie, und anstatt sich vor Milo zu verschließen, wie sie es bislang meist getan hatte, öffnete sie ihm ihre Gedanken und Gefühle, um ihn an dem flüchtigen Glück teilhaben zu lassen, das sie in diesem Moment empfand. Sie konnte spüren wie er sich ihr näherte, nicht unbedacht und rücksichtslos, sondern vorsichtig und behutsam.
    Es war ein Tanz zu zweit – und dennoch war Cyn allein, was sich seltsam anfühlte. Also lenkte sie ihre wirbelnden Kreise kurzerhand in Richtung der Bank, wo sie den Puck abgelegt hatte, und aus einer Drehung heraus griff sie nach der Puppe und hob sie hoch, drückte sie an sich wie einen lieben Freund.
    »Was tust du?«, fragte Milo fast bestürzt.
    »Wir tanzen!«, erwiderte sie, während sie sich immer weiter drehte, bis ihr ganz schwindelig wurde. Sie fühlte die Flocken in ihrem Gesicht, sah immer wieder den hell erleuchteten Glaspalast vorüberziehen, hörte die leise Musik – und verlor schließlich das Gleichgewicht.
    »Vorsicht!«, rief Milo.
    Cyn taumelte, und da nichts in der Nähe war, woran sie sich festhalten konnte, fiel sie zu Boden. Der Länge nach landete sie im frisch gefallenen Schnee, unmittelbar neben ihr der Puck, der ihr den Sturz nicht zu verübeln schien und sie mit unverminderter Heiterkeit ansah. Die Musik hatte aufgehört. Die Serenade war zu Ende, der Park würde bald schließen – und plötzlich hatte Cyn Tränen in den Augen.
    »Cyn, um Himmels willen!«, ließ sich Milo vernehmen. »Hast du dir wehgetan? Ist etwas gebrochen?«
    Sie musste lächeln – spätestens jetzt konnte er nicht mehr leugnen, dass er sich um sie sorgte. Sie richtete sich halb auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Nein«, versicherte sie. »Ich musste nur gerade an etwas denken?«
    »Woran?
    »Dass das seit Langem der schönste Tag war, den ich erlebt habe«, erwiderte sie leise.
    Ein langer Augenblick verging, ehe sie Milos Antwort in ihrem Kopf vernehmen konnte. »Geht mir ebenso«, sagte er dann leise, so als befürchtete er, dabei belauscht zu werden.
    Sie hörte den Klang seiner Stimme, die längst nicht mehr abweisend und hochmütig klang, sondern einfühlsam und – Cyn konnte es selbst kaum glauben – liebenswert.
    Zum ersten Mal ertappte sie sich bei dem Wunsch, dass er nicht nur ein Schatten sein möge, sondern ein richtiger Junge, ein Wesen aus Fleisch und Blut. Sie verspürte plötzlich den Drang, ihn zu berühren.
    »Vorsicht, Cyn«, flüsterte er, als er ihre Gedanken erkannte, aber es war ihr gleichgültig.
    Den

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