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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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lächelte. »Das ist gut«, sagte sie.
    »Warum kannst du so gut mit Kindern umgehen?«, fragte Milo. »Woher weißt du, was ihnen gefällt? Die meisten Menschen vergessen das, wenn sie erst erwachsen sind.«
    »Das ist wahr«, räumte Cyn ein, »aber nicht mein Vater. Als ich noch ein kleines Mädchen war, hat er mir unzählige Geschichten erzählt und mich auf die tollsten Reisen mitgenommen. Meist waren es nur Spaziergänge in die Nachbarschaft – aber er hat es immer verstanden, daraus ein großes Abenteuer zu machen.«
    »Es … muss wunderbar sein, so einen Vater zu haben.«
    »Ja«, stimmte Cyn zu, während sie gleichzeitig ein Anflug von Trauer überkam, als sie an ihren Vater denken musste und an den Grund dafür, warum sie hier war. »Ich kenne niemanden, der seinen Beruf mit größerer Liebe und Hingabe ausführt. Das Theater an der Holywell Lane ist – oder vielmehr war – sein Leben. Ebenso wie die Menschen, die dort arbeiten.«
    »Erzähl mir von ihnen.«
    Der Gedanke an zu Hause rang Cyn ein wehmütiges Lächeln ab. Sie setzte sich auf eine Parkbank, die am Wegrand aufgestellt war, und begann zu berichten.
    »Also, da ist Nancy aus Liverpool, die früher einmal Schauspielerin gewesen ist. Aber der Kerl, mit dem sie verheiratet war, war neidisch auf ihren Erfolg und entstellte ihr Gesicht mit einem Messer. Von da an wollte ihr niemand mehr Arbeit geben außer mein Vater – im Penny Theatre fand Nancy ein neues Zuhause. Oder Hank, der in der Tretmühle gewesen war, weil er Brot gestohlen hatte – mein Vater hat ihn bei sich aufgenommen und ihm eine neue Chance gegeben. Oder der gutmütige Albert, der alles reparieren kann, was du dir vorstellen kannst. Und natürlich meine Freundin Lucy, die aus den Midlands kommt und über beide Ohren in Albert verliebt ist. Sie denkt, dass niemand es weiß, dabei wissen es alle – außer Albert natürlich.«
    »So wie du es sagst, scheinen es gute Menschen zu sein«, meinte Milo nachdenklich. »Genau wie dein Vater.«
    »Das sind sie«, versicherte Cyn. »Wenn du sie nur besser kennen würdest … Du solltest sie kennenlernen!«
    »Sie kennenlernen? Ich?«
    Cyn blickte in die reglosen Züge des Puck, und ihr wurde klar, dass das eine törichte Idee war. »Verzeih, das war unüberlegt.«
    »Schatten lernen keine Menschen kennen – und umgekehrt«, beschied Milo ihr. »Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.«
    »Wir haben uns kennengelernt«, widersprach Cyn.
    »Eine Ausnahme«, war Milo überzeugt. »Du bist anders.«
    »Woher willst du das wissen, wenn du keine anderen Menschen kennst als mich?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Dann kennst du auch andere Leute? Nicht nur Schatten, sondern lebende, atmende Menschen?«
    »Früher«, gab Milo zurück, und für einen kurzen Augenblick hatte Cyn das Gefühl, dass er sein Schweigen endlich brechen und über sein einstiges Leben sprechen wollte. Über die Zeit, da er selbst noch ein Mensch und nicht ein körperloser Schatten gewesen war.
    Doch in diesem Moment rieselte vor ihnen etwas herab, das ihrer beider Aufmerksamkeit weckte.
    In scheinbar unendlicher Langsamkeit schwebte es nach unten und landete lautlos auf dem Boden.
    Eine Schneeflocke.

20
    TANZENDE FLOCKEN
    Im Spiel und im Zuge der Abenteuer, die sie zusammen mit den Kindern erlebt hatte, konnte Cyn nicht nur für einige Zeit ihre Sorgen vergessen, sondern auch alles andere um sich herum. So hatte sie nicht bemerkt, wie sich der anfangs noch wolkenlose Himmel den Nachmittag über eingetrübt hatte – und nun, als die Dämmerung einsetzte und es wieder kälter wurde, fing es an zu schneien.
    Dass es in London schneite, zumal in den Außenbezirken, die nicht unter der allgegenwärtigen Haube aus Dunst und Rußwolken lagen, war nicht weiter ungewöhnlich, jedoch hatte Cyn selten erlebt, dass der Winter so früh einsetzte. Sie liebte den Schnee. Wenn die Stadt unter einem weißen Mantel lag, wenn Eiszapfen von den Dachvorsprüngen hingen und die Fenster von Frost überzogen waren, wirkten die Gassen weniger dunkel und die Häuser weniger trist. Als kleines Mädchen war es ihr vorgekommen, als ob das frisch gefallene Weiß die Stadt in ein glitzerndes Wunderland verwandle, und obwohl ihr inzwischen klar geworden war, dass das nicht der Fall war, hatten die lautlos fallenden Schneekristalle für sie noch immer etwas Zauberhaftes.
    Für einen Augenblick konnte Cyn es gar nicht fassen, so unwirklich kamen ihr die Flocken vor, die nun in immer größerer Anzahl zu

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