Spiel der Schatten (German Edition)
würde?«
Cyn starrte in das graue Schädelgesicht, während ihre Welt zusammenbrach. »Nein«, flüsterte sie, und es tat ihr so weh, dass sie glaubte, vor Schmerz zu vergehen. »Natürlich nicht.«
»Milo ist kein Mensch, er ist ein Schatten. Er hat deine Gefühle durchschaut, von Anfang an, und er hat gemerkt, wie du ihn manipulieren und auf deine Seite ziehen wolltest.«
»Das ist nicht wahr.« Cyn schüttelte den Kopf, Tränen rannen an ihren Wangen herab.
»Hast du etwa nicht versucht, ihn mit Lug und Trug von der Rechtschaffenheit der Menschen zu überzeugen?«
»Ich wollte ihm zeigen, dass es eine Welt außerhalb dieses Theaters gibt und dass dort nicht alles schlecht ist«, gestand Cyn, »aber ich habe ihn nie belogen!«
»Und ihm etwas bewusst verschwiegen?«
»Auch das nicht.«
»Nein? Warum hast du ihm dann nichts von Desmond Brewster erzählt? Von dem Mann, dem am Ende dieser Woche das Theater deines Vaters gehören wird? Und der es abreißen will, um eine Fabrik für Schwefelhölzer darauf zu errichten, in der er dich schuften lassen will?«
»Ich …«
»Ich will es dir sagen«, ließ der Professor sie gar nicht erst zu Wort kommen. »Weil es nicht in das Bild gepasst hätte, dass du von den Menschen zeichnen wolltest. Das schöne und wunderbare – und durch und durch verlogene Bild.«
»Das stimmt nicht«, widersprach Cyn. »Ich habe nie bestritten, dass es dort draußen viele schlechte Dinge gibt. Aber eben auch Wärme und Zuneigung und …«
»So wie die deiner Freunde?« Grinsend entblößte Caligore sein von Fäulnis befallenes Gebiss. »Sie alle haben sich dem Reich der Schatten zugewandt, wie weit kann es mit ihrer Zuneigung also her gewesen sein? Die Sterblichen sind schlecht und verlogen, niemand weiß das besser als ich – und auch du wirst das schon bald begreifen, wenn du erst eine von uns geworden bist.«
»Nein!« Cyn schüttelte den Kopf. »Ich will nicht!«
»Du wolltest dich fügen, weißt du nicht mehr?«
»Nur wenn Sie meinen Vater dafür freilassen!«
»Du willst mir Bedingungen stellen? Mir, dem Herrn der Schatten?« Caligore lachte abermals, dann gab er seinen Leuten ein Zeichen. Die Theaterdiener, die Cyn bereits umzingelt hatten, traten vor. Zwei von ihnen lösten die Fesseln, während die anderen beiden sie festhielten.
»Lasst mich los«, verlangte Cyn und wehrte sich nach Kräften, aber gegen den schraubstockartigen Griff der Männer hatte sie keine Chance. In ihrer Not wandte sie sich zu Milo um, aber der verschwommene, reglose Fleck an der Wand machte ihr klar, dass sie von ihm nichts mehr zu erwarten hatte.
»Oh Milo, wie konntest du nur?«, zischte sie, während Caligores Diener sie auf die Beine zerrten. »Ich dachte, wir wären Freunde.«
»Eine Sterbliche und ein Schatten, Freunde?« Der Professor lachte auf. »Hat man je so etwas Absurdes gehört?«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, stieß Cyn voller Bitterkeit hervor. »Einem Schatten die Freude des Lebens näherbringen zu wollen, ist so, als wollte man die Nacht dazu überreden, hell zu werden.«
»Genug geredet«, befand Caligore. »Die laterna wird dir deine klugen Reden schon austreiben. Führt sie ab!«
»Nein!«, protestierte Cyn und wand sich im Griff ihrer Häscher, doch die grobschlächtigen Kerle ließen sich nicht beeindrucken und schleppten sie kurzerhand hinaus.
Umberto Caligore wartete, bis die Schreie des Mädchens im Kellergewölbe verklungen waren. »Hast du das gehört?«, wandte er sich dann an Milo, der noch immer in seiner Ecke kauerte.
»Ja, Vater.«
»Dieses Mädchen ist ebenso störrisch wie widerspenstig. Trotz ihres noch jungen Alters ist sie gefährlich. Warum hast du das nicht sofort erkannt?«
»Nun, ich …«
»Du hast dich blenden lassen, von ihrer Jugend und ihrer Schönheit, ihrem blonden Haar und ihrem Lächeln. Aber das alles ist nicht von Bestand, Sohn.«
»Aber sie … sie hat mir vertraut«, wandte Milo hilflos ein.
»Und?« Caligore lachte herablassend. »Sie ist nur eine Sterbliche. Was kümmert es dich, wie sie über dich denkt? Du weißt doch, wie die Menschen in diesen Dingen sind!«
»Ja, Vater. Ich weiß es.«
»Was du getan hast, war falsch. Dein eigenmächtiges Handeln hat mich über die Maßen enttäuscht.«
»Ich weiß, Vater.«
»Wie konntest du nur? Wie konntest du dir anmaßen, über das Schicksal eines Schattens zu bestimmen? Dich auf einen Handel einlassen, bei dem du nur verlieren konntest? Ist dir denn nicht klar gewesen,
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