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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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lächelte schwach. »Seid ihr frei?« Da er auch seine geistige Stimme benutzte, hallte sie wiederum wie ein Echo durch Cyns Kopf. Eine Antwort bekam er nicht, dafür löste sich jemand aus der verschwommenen Masse und kam auf sie zu.
    Aus dem Augenwinkel nahm Cyn die Gestalt wahr. Sie erkannte ihre Haltung und ihre Art sich zu bewegen, und unfassbares Grauen schüttelte sie.
    Es war ihr Vater.
    Der Körper von Horace Pence, nunmehr gesteuert von seinem Schatten. Der Übergang war vollzogen.
    »Nein«, hauchte Cyn und rang mit den Tränen. Ihren Vater so zu sehen, buchstäblich als einen Schatten seiner selbst, war noch schrecklicher als alles zuvor. »Dazu hatten Sie kein Recht. Es gab eine Abmachung …«
    »Nicht mit mir«, brachte Caligore achselzuckend in Erinnerung.
    »Dann werde ich mich auch nicht an meinen Teil der Abmachung halten«, kündigte Cyn an. »Ich werde mich zur Wehr setzen, mit allen Mitteln!«
    »Das ist sinnlos, mein Kind«, beschied ihr Vater ihr. Seine Stimme war noch immer die alte, doch seine einst so gütigen Züge waren hart und ausdruckslos. »Vor der Macht der Laterne gibt es kein Entrinnen.«
    »Das ist wahr«, stimmte Caligore zu. »Was glaubst du, wie viele vor dir auf dieser Bühne gestanden und ihren Widerstand angekündigt haben? Menschen, die sehr viel stärker und entschlossener waren als du – und sie alle haben den Kampf gegen die Laterne verloren. Ihr Geist ist auf ihre Schatten übergegangen und ihr Körper wurde zu jenem stummen und nichtigen Anhängsel, als das ihr Menschen uns Schatten gewöhnlich betrachtet.«
    »Vielleicht habe ich keine Chance«, räumte Cyn mit bebender Stimme ein, während ihr Blick zwischen Caligore und dem alten Horace hin und her wanderte. »Vielleicht werde ich dasselbe Schicksal erleiden wie mein Vater und alle anderen – aber früher oder später wird man Ihnen auf die Schliche kommen und Ihnen das Handwerk legen!«
    »Wohl kaum.« Caligore schürzte abschätzig die dünnen Lippen. »Solange die Welt dort draußen so unvollkommen ist, so schmutzig und voller Elend und Unrecht, werden die Sterblichen nach Illusionen dürsten. Sie werden auch weiterhin ins Caligorium strömen, um ihrer Wirklichkeit zu entfliehen – und wenn sie erst hier sind, lasse ich sie nicht mehr los. Wer seinen Fuß einmal in dieses Theater gesetzt hat, der verlässt es als ein neuer Mensch – ohne Schatten.«
    »Und wozu?«, fragte Cyn. »Was bezwecken Sie damit?«
    »Oh.« Der Professor senkte die Brauen, so als wäre er ein wenig enttäuscht über die Frage. »Ich dachte, das wäre offensichtlich. Warum, glaubst du, habe ich das Theater ausgerechnet an diesem Ort eröffnet, an der Nahtstelle zwischen der Londoner City, zwischen East End und West End? Doch nur, um meine Arme nach allen Seiten ausstrecken zu können«, erklärte er und breitete tatsächlich seine knochengleichen Gliedmaßen aus. »Zuerst war es nur ein Experiment, das ich an den Armen und Namenlosen durchführte, von denen ich wusste, dass niemand sie vermissen würde. Ich schickte meine Ausrufer nach Smithfield, nach Whitechapel und nach Spitalfields – und siehe da, die Leute kamen zu Hunderten in meine Vorstellungen.«
    »Ja«, knurrte Cyn verdrießlich, »und das Penny Theatre haben Sie damit ganz nebenbei ruiniert.«
    »Je mehr Leute kamen«, fuhr Caligore fort, den Einwurf überhörend, »desto weiter drang mein Ruf nach Westen. Zuschauer aus anderen Vierteln fanden sich bei mir ein, aus Holborn und Covent Garden, und sie waren wohlhabender und einflussreicher. Inzwischen ist die Kunde von den hier gebotenen Sensationen bis an die Piccadilly Street gedrungen, und es sollen auch schon Besucher aus dem vornehmen Mayfair im Theater gesichtet worden sein. Sie alle werden von ihrer Neugier angezogen wie die Motten vom Licht – und verlassen das Caligorium von ihren Körpern befreit und als treue Schatten.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Cyn, für die nun alles erst Sinn zu ergeben begann. »Diese armen Kreaturen sind Ihnen hörig und tun alles, was Sie von ihnen verlangen. Auf diese Weise gelangen Sie in den Besitz ihrer Häuser, ihrer Geschäfte und ihrer Ersparnisse!«
    »So etwas soll schon vorgekommen sein.«
    »Und Sie sprechen von Freiheit? Sie sind ein gemeiner Dieb, Professor Caligore, nicht mehr und nicht weniger!«
    »Meinst du? Glaubst du wirklich, dass sich meine Pläne darauf beschränken, mich mit Reichtum und Luxus zu umgeben? Wenn es so wäre, warum bin ich dann noch hier? Warum lebe

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