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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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sie getroffen hatte, dann war es schwarz um sie geworden. Was das Monstrum mit ihr angestellt hatte und wie sie von der Holywell Lane zum Finsbury Circus gekommen war, konnte sie nicht einmal vermuten.
    Unruhe erfüllte sie, Angst presste ihren Brustkorb zusammen, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Gehetzt sah sie sich in der Kammer um. Ihr Blick streifte die herumliegenden Requisiten, die Ritterrüstung und das Tigerfell – und den Puck, der scheinbar achtlos auf den Boden geworfen worden war.
    Wie die Puppe, die sie in Sydenham zurückgelassen hatte, hierhergelangt war, konnte sich Cyn nicht erklären. Aber sie ahnte, dass dort, wo der Puck weilte, auch sein Schatten nicht fern war.
    »Milo?«, fragte sie flüsternd in das Halbdunkel.
    »Ich bin hier«, drang es ebenso flüsternd und elend zurück.
    Trotz ihrer Angst und der bedrängten Lage empfand Cyn jähe Erleichterung. »Du bist hier! Oh Milo, ich bin so froh!«
    »Bist du sicher?«
    »Natürlich bin ich sicher. Wo bist du? Komm und zeig dich!«
    Es dauerte einen Moment, bis sich oben auf einem der Kistenstapel etwas regte. Der Junge hatte sich in den hintersten Winkel der Kammer zurückgezogen.
    »Geht es dir gut?«, erkundigte Cyn sich besorgt.
    »Ja, alles in Ordnung«, drang es mürrisch zurück.
    »Bist … bist du mir böse? Milo, ich wusste nicht, was ich tun sollte, also …«
    »Nein, schon gut. Ich bin dir nicht böse. Ich war es doch, der dir sagte, dass du fliehen sollst.«
    »Das war sehr tapfer von dir.«
    »Und? Was hat es gebracht? Nun bist du doch hier, von den Grimmlingen geschnappt, genau wie ich. Es war alles vergeblich.«
    »Wie kannst du das sagen?« Cyn schüttelte den Kopf. »Denk doch an die Stunden, die wir zusammen verbracht haben, an den Tag im Licht. Willst du behaupten, du hättest nichts gelernt? Bist du immer noch der Ansicht, dass die Welt der Menschen nur hässlich und verdorben sei?«
    »Darum geht es nicht.«
    »Doch, genau darum geht es«, widersprach Cyn. »Denn so lautete unsere Abmachung. Wenn es mir gelungen ist, dir die Menschenwelt von einer anderen Seite zu zeigen, dann musst du meinen Vater freilassen. So war es vereinbart.«
    »Ich weiß.«
    »Aber?«, hakte Cyn nach.
    »Es liegt nicht mehr in meiner Macht«, gab der Junge niedergeschlagen bekannt. »Die Dinge haben sich geändert.«
    »Inwiefern?«
    »Es … es gibt da etwas, das du noch nicht weißt«, begann Milo zögernd. »Über die Schatten … und über mich.«
    »Wovon sprichst du?« Cyn sah verwirrt in seine Richtung, konnte jedoch nicht mehr ausmachen als einen verschwommenen dunklen Fleck ohne feste Konturen. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Ich hätte es dir längst sagen sollen. Aber am Anfang wollte ich es nicht, und später konnte ich es nicht.«
    »Milo«, ermahnte Cyn ihn, »was soll das heißen? Du machst mir Angst, weißt du das?«
    »Verzeih«, murmelte er leise. »Das möchte ich nicht. Es ist nur, ich bin … ich bin nicht …«
    In diesem Moment wurde die Tür der Kammer geöffnet.
    Licht fiel aus dem Kellergang in das Gewölbe, und mehrere Gestalten traten ein. Im ersten Moment war Cyn erleichtert darüber, dass es keine Grimmlinge waren, sondern nur rot uniformierte Theaterdiener, die, wie sie inzwischen wusste, die willenlosen Knechte ihrer Schatten waren. Ihre Erleichterung schwand jedoch, als sie den Mann erblickte, der den Uniformierten folgte.
    Anders als sie ging er nicht schleppend und mit unterwürfig gesenktem Haupt, sondern stolz und aufrecht, sodass er die anderen um Haupteslänge überragte. Gekleidet war er von Kopf bis Fuß in tiefstes Schwarz, mit einem halblangen Umhang um die Schultern. Und ohne Frage war er der hagerste Mensch, dem Cyn je begegnet war.
    Spindeldürre Arme und Beine ragten aus dem schlanken Körper. Der Kopf des Mannes war kahl und kantig wie ein Totenschädel, nur an seiner Oberlippe wucherte ein Ungetüm von Schnurrbart, dessen Enden nach oben gezwirbelt waren. Das Kinn war lang und spitz, die Nase so scharf wie ein Messer, die Gesichtshaut bleich und grau. Einerseits wirkte der Mann alt und gebrechlich, wozu auch der Stock beitrug, auf den er sich stützte. Andererseits jedoch waren da die Augen, die aus tief liegenden Höhlen starrten und in denen seiner Erscheinung zum Trotz ein jugendliches Feuer zu lodern schien.
    Dieser Widerspruch ließ den Fremden seltsam, geradezu unheimlich wirken. Cyn konnte nicht anders, als bei seinem Anblick an einen lebenden Toten zu denken, und der modrige Geruch, der nun

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