Spiel der Schatten (German Edition)
dass sie versuchen würde, dich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu beeinflussen?« Der Professor unterbrach sich für einen Moment. Als sein Sohn keine Reaktion zeigte, fuhr er fort: »Habe ich dir denn nicht beigebracht, was Verantwortung bedeutet? Habe ich dir nicht wieder und wieder gesagt, dass die Menschen unsere Feinde sind und du ihnen niemals trauen sollst? Dass ihre Welt voller Intrige und Täuschung ist?«
»Doch, Vater«, gab Milo zu, »das hast du.«
»Und deshalb weiß ich auch, dass nicht du die treibende Kraft hinter alldem gewesen bist, sondern dieses Mädchen«, war Caligore überzeugt. »Aus diesem Grund müssen wir uns ihres aufsässigen Wesens so rasch wie möglich entledigen. Ist sie erst eine von uns, droht von ihr keine Gefahr mehr. Dann wird sie so sein wie wir alle, und du kannst so viel Zeit mir ihr verbringen, wie du möchtest. Als deine ergebene Dienerin wird sie dir dann aufs Wort gehorchen.«
Ein halblautes Seufzen drang aus Milos Gedanken. »Auch das weiß ich, Vater.«
»Über deine Bestrafung werde ich später nachdenken, nun muss ich mich erst um deine rebellische Freundin kümmern. Warte hier so lange und denke über dein Vergehen nach.«
»Ja, Vater.«
Caligore nickte entschlossen, dann wandte er sich so abrupt ab, dass sich sein schwarzer Umhang hinter ihm bauschte, und er verließ die Kammer durch die niedrige Tür.
Milo blieb zurück.
Aber er war nicht allein.
Kaum hatte sein Vater die Requisitenkammer verlassen, begann jene Stimme zu sprechen, die Milo in seinem Kopf hörte, seit er ins Caligorium zurückgekehrt war. Die Stimme, die einfach nicht verstummen wollte – und die einer Puppe gehörte.
Einer Puppe, die dort auf dem Boden lag und deren Gesichtszüge nur aus Holz geschnitzt und deren Augen nur aufgemalt waren. Trotzdem kam es Milo vor, als würde sie ihn vorwurfsvoll anstarren.
»Und?«, fragte sie ihn in seinen Gedanken. »Was willst du nun tun?«
»Was soll ich denn tun?«, fragte Milo dagegen.
»Das kann ich dir nicht sagen, mein Freund. Darüber musst du schon selbst entscheiden.«
»Da gibt es nichts mehr zu entscheiden. Mein Vater hat beschlossen, was zu geschehen hat.«
»Dann ist es ja gut, und du brauchst dir keine Gedanken mehr darüber zu machen, richtig?«
»Richtig«, stimmte Milo zu. »Es ist nur …«
»Ja?«
»Nichts«, wehrte der Junge missmutig ab.
Aber er ahnte, dass der Puck keine Ruhe geben würde.
23
DAS KABINETT DES CALIGORE
Sie brachten Cyn hinauf in den Bühnenraum des Theaters, der kaum wiederzuerkennen war.
Die Kulissen des alten Ägypten, die sich dunkel und drohend auf der Bühne erhoben, waren nur mehr zu erahnen – im Mittelpunkt der unheimlichen Szenerie befand sich nun die Laterne, die von der Decke hing und aus deren ungezählten Augen grüne Lichtschäfte stachen. Das geisterhafte Zwielicht, das sie auf ihre Umgebung warf, ließ im Hintergrund dunkle Gestalten erahnen.
»Nein!«, rief Cyn erneut. »Ich will nicht, hört ihr? Lasst mich gefälligst los!«
Die Theaterdiener reagierten nicht auf ihre Proteste, und Cyn war sich nicht einmal sicher, ob sie sie überhaupt hörten. Trotzdem schrie sie weiter, schon um ihrer Angst und der hilflosen Wut Luft zu machen, während ihre Häscher sie auf die Bühne zerrten und geradewegs unter die Laterne stellten.
Mit vor Furcht geweiteten Augen starrte Cyn zu der unheimlichen Vorrichtung hinauf, die über ihr schwebte und wie ein lebendes, vieläugiges Monstrum wirkte. Cyn schrie aus Leibeskräften. Es war das Einzige, was sie noch tun konnte. Die vage Hoffnung, dass irgendjemand ihre Schreie hören und zu Hilfe kommen würde, ließ sie alle Zurückhaltung vergessen.
»Nur zu«, forderte Professor Caligore sie auf, der nun ebenfalls auf der Bühne angelangt war und zu ihr trat. »Schrei, so lange du willst. Es ist längst nach Mitternacht, niemand wird dich hören.«
»Ich will nicht«, stieß Cyn zwischen zwei gellenden Schreien hervor. »Ich will keiner Ihrer traurigen Sklaven werden«, fügte sie mit Blick auf die Schatten hinzu, die sich jenseits des grünen Lichtscheins zu drängen schienen.
»Sklaven?« Caligore hob eine seiner schmalen Brauen. »Du weißt doch nicht einmal, was wirkliche Freiheit ist, wie willst du da einen Sklaven erkennen?«
»Ich mag noch jung sein und vieles nicht wissen«, gab Cyn unumwunden zu, »aber ich weiß ganz bestimmt, dass jene Kreaturen dort nicht frei sind.«
»Vielleicht sollten wir sie fragen.« Caligore
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