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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Vater …
    »Seid ihr … im Caligorium gewesen?«, argwöhnte sie. »Hat Vater euch dorthin gelockt?«
    Nancy legte fragend den Kopf schief. Der Schein der Gaslampe hob die Gesichtsnarbe hervor, was ihre reglosen Züge noch gespenstischer machte. »Das Caligorium?«, fragte sie. »Was ist das?«
    »Wisst ihr denn gar nichts mehr?« Flehend schaute Cyn von einem zum anderen, den Tränen nahe. »Sie haben euch alles genommen, euren Verstand, eure Erinnerung und eure Gefühle, genau wie bei Vater! Seht ihr denn nicht, was mit euch geschehen ist?«
    »Was meinst du?«
    »Die Schatten sind überall, immer mehr Menschen fallen ihnen zum Opfer! Zuerst Milo, dann Vater und nun ihr!« Cyn zuckte zusammen und sog nach Luft, als sich Alberts große Hand auf ihre Schulter legte.
    »Ruhig, Kind«, redete er ihr zu. »Du darfst dich nicht so aufregen, hörst du?«
    »Lass mich in Ruhe!«, herrschte sie ihn an und schüttelte seine Hand ab. »Ihr begreift ja noch nicht einmal, was hier vor sich geht!«
    Sie konnte die Tränen der Verzweiflung nicht länger zurückhalten. Mit verschwimmendem Blick starrte sie die vier Erwachsenen an, während sie sich an Albert vorbei zum Treppenabgang zwängte. Er hinderte sie nicht daran, vermutlich war er viel zu gleichgültig dazu.
    »Ich werde etwas unternehmen«, kündigte Cyn schluchzend an. »Irgendetwas …«
    »Wogegen?«, wollte Lucy wissen. Alle drängten sie sich nun am oberen Ende der Treppe, während Cyn langsam hinunterstieg, rückwärts, um sich nicht von ihnen abwenden zu müssen. Ihr Äußeres mochte noch das ihrer Freunde sein – in Wahrheit jedoch waren sie dabei, zu erbitterten Feinden zu werden.
    »Gegen Caligore«, knurrte Cyn störrisch. »Ich muss versuchen, euch zu retten.«
    »Da gibt es nichts zu retten, Kind.« Lucy lächelte entwaffnend. »Uns geht es gut, unsere Sorgen gehören der Vergangenheit an.«
    Cyn kannte Lucys Züge gut genug, um zu wissen, dass sie die Wahrheit sagte. War das der Köder, mit dem die Schatten sie auf ihre Seite gelockt hatten? Dass in Caligores Welt für sie alles besser werden würde? Hatte Milo am Ende recht gehabt? War die wirkliche Welt tatsächlich derart verdorben, dass es einer Befreiung gleichkam, in jene der Schatten zu wechseln? Selbst wenn es bedeutete, dass man dort ein Leben in Dunkelheit und Unfreiheit fristete?
    Nein!
    Cyn wusste nicht, was ihren Freunden widerfahren war, aber es stand fest, dass dies nicht die Menschen waren, die sie gekannt und geliebt hatte.
    »Ihr mögt es nicht bemerken«, stieß Cyn deshalb hervor, »aber ihr seid nicht mehr ihr selbst. Ihr alle wart einst meine Freunde.«
    »Das sind wir noch immer, Kind.«, antwortete Lucy.
    »Das denkt ihr, in Wahrheit jedoch seid ihr einer Macht verfallen, die viel stärker ist als ihr.« Sie hatte das Ende der Treppe erreicht und wich zur Tür zurück.
    »Tu das nicht, Kind«, sprach Lucy ihr zu. Ihr Blick war verständnislos wie zuvor, in ihrer Stimme jedoch schien ein Hauch von Mitleid zu schwingen.
    »Tut mir leid, ich kann nicht anders«, erwiderte Cyn. Sie befürchtete plötzlich, dass die anderen versuchen könnten, sie aufzuhalten, deshalb wandte sie sich zur Flucht. Rasch fuhr sie herum und riss die Tür auf, um in die kalte Winternacht hinaus zu fliehen – doch draußen herrschte so abgründige Schwärze, als wären alle Lichter der Welt erloschen.
    Cyn brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass das dort draußen nicht die Nacht war, sondern ein Schatten.
    Riesig groß.
    Auf zwei Beinen.
    Das bullige Haupt gehörnt.
    Im selben Moment vernahm sie das Knurren.
    Ein gellender Schrei entrang sich Cyns Kehle. Sie wollte zurückfahren und die Tür wieder zuschlagen, aber sie kam nicht dazu. Die riesige Schattenfaust des Grimmlings zuckte vor und erfasste sie. Wie schon einmal spürte Cyn tödliche Kälte, gleichzeitig war ihr, als würde ein dunkler Sack über sie gestülpt.
    Und sie war fast dankbar dafür, dass sie erneut das Bewusstsein verlor.

22
    DER HERR DER SCHATTEN
    Cyn war kaum überrascht darüber, im Caligorium zu erwachen.
    Einmal mehr fand sie sich in der Requisitenkammer wieder – mit dem Unterschied, dass sie diesmal an den Stuhl mit der abblätternden Goldfarbe gefesselt war.
    Sie blinzelte, um sich an die spärlichen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, und schüttelte den Kopf. Ein stechender Schmerz in den Schläfen sagte ihr jedoch, dass das keine gute Idee war. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war die Schattenfaust des Grimmlings, die

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