Spiel Der Sehnsucht
hatte. Die hohen Kasset-tendecken waren sorgfältig bemalt. Ob mit Gips oder Holz verkleidet, alle Wände waren mit Blattgold oder Hintergrundmalereien verziert und dicht mit Kunstwer-ken behängt. Selbst die Böden waren Kunstwerke, einge-legt mit den verschiedenartigsten Hölzern und bedeckt von Teppichen aus allen möglichen orientalischen Ländern.
Die Möblierung reichte von antik bis modern, und zwei der Badezimmer besaßen fließendes Wasser, was einen nahezu unerhörten Luxus darstellte. Doch trotz allen Reichrums schien dem Haus etwas zu fehlen.
Menschliche Wärme war es, die fehlte, stellte Lucy fest, als sie den Widerhall ihrer eigenen Schritte auf den eleganten Stufen vernahm, die in das Obergeschoß führten.
Die Gräfinwitwe hatte ihre persönlichen Habseligkeiten in das Gästezimmer nahe dem östlichen Badezimmer schaffen lassen, während Lucy die Haupträume und das westliche Badezimmer zustanden.
In einem Augenblick des Zorns ließ Lucy Ivans wenige persönlichen Habseligkeiten in einen der Lagerräume auf dem Dachboden bringen. Falls Lady Westcott mit Lucys Eigenmächtigkeit nicht einverstanden war, so verbarg sie dies in den kommenden Wochen wohlweislich.
Ohne eigentliche Absprache stellte sich zwischen den beiden Frauen bald eine Art friedlicher Routine ein. Lucy machte morgens einen Rundgang durch den Garten und brütete über ihren Gedanken. Nachdenken nannte sie selbst es, aber brüten kam der Sache näher. Anschließend frühstückte sie mit Lady Antonia.
Lucy übernahm die Entscheidungen in Haushaltsan-gelegenheiten, doch sie traf sie immer in Lady Westcotts Anwesenheit. Gelegentlich bot die Gräfinwitwe ihren Rat - meist guten Rat - an, Lucy überdachte ihn und nahm ihn für gewöhnlich an. Früh am Nachmittag arbeitete Lucy sich durch die gutbestückte Bibliothek, während Lady Antonia die Zeitungen las und danach ein Nickerchen machte.
Sie hielten sich an die auf dem Lande übliche Zeitein-teilung, was hieß, daß sie ihr Abendessen zeitig einnah-men. Manchmal ritt Lucy in dem lang andauernden Zwielicht der Sommerabende aus. Die Ländereien des Besitzes waren ausgedehnt, und die Ställe, obwohl nicht sehr groß, beherbegten einige ausgezeichnete Reitpferde.
Das Dasein der beiden Frauen hätte geradezu idyllisch genannt werden können, hätten sie nicht beide unter der Ungewißheit gelitten, wann Ivan zurückkehren würde.
Valerie schrieb noch zweimal. Zuerst teilte sie mit, daß ihr Aufenthalt in York bei Sir James' Familie sich verzö-
gerte, aber daß sie nach wie vor die Absicht hätten, nach Dorset zu kommen. Dann, daß sie in der letzten Juliwo-ehe, nach einem Besuch bei Valeries Familie in Arundel, in Dorset eintreffen wollten.
Auch Ivan schrieb, aber seine Briefe waren nicht mehr als kurze Notizen.
Ich muß noch länger geschäftlich in York bleiben, lautete die erste. Zwei Wochen später: Ich reise nach Wales wegen neuer geschäftlicher Verbindungen.
Wann er in Dorset zu erwarten sei, deutete er mit keinem Wort an.
Lucy bemühte sich, nicht schwermütig zu werden, aber es gelang ihr nicht. Lesen lenkte sie nicht ab. Sie verlor den Appetit. Sogar der Geruch von Essen war ihr kaum mehr erträglich. An dem Nachmittag, an dem Valerie und Sir James ankamen, mußte Fenton, der Butler, sie aus einem Schlummer wecken, in den sie in der Bibliothek gesunken war. Antonia wartete im Foyer auf sie, und zusammen gingen sie hinaus, um ihre Gäste zu begrüßen.
Valerie war nervös, das sah Lucy sofort. Die junge Frau ging, sich ängstlich an den Arm ihres Mannes klam-mernd, zögernd auf ihre Patentante zu. »Darf ich Ihnen meinen Ehemann, Sir James Mawbey, vorstellen«, sagte sie zu der alten Dame.
»Ich weiß, wer er ist«, versetzte Antonia barsch. Sie be-
äugte den ernsten jungen Mann und die schüchtern dreinschauende Valerie. »Schau mich nicht so an, Mädchen! Ich habe ein Recht, schlecht gelaunt zu sein, denn du hast mir endlose Peinlichkeiten bereitet. Sag mir eines: Gibt es keine Möglichkeit, die Ehe zu annullieren?«
Sir James reckte sich. »Madam! Sie haben überhaupt kein Recht ...«
»Keine Möglichkeit«, unterbrach Valerie ihren wütenden Ehemann. »Wir sind gesetzlich getraut, und auch wenn es nicht so wäre, gäbe es kein Zurück. Wir lieben uns.«
Die Gräfinwitwe faßte den Kristallknauf ihres Stockes fester. »Na schön. Ihr seid also verheiratet. Komm, gib mir einen Kuß und laß uns dann hineingehen. Hier draußen ist es so heiß, daß man in Ohnmacht
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