Spiel Der Sehnsucht
Septemberausgabe übergeben kann.«
Wie derzeit die meisten ihrer Emotionen, so war auch Lucys Gefühl gegenüber Valeries und James' Abreise zwiespältig. Die beiden waren der Inbegriff eines frisch-verheirateten Pärchens und so offensichtlich ineinander verliebt, daß Lucy es kaum ertragen konnte, mit beiden gleichzeitig in einem Zimmer zu sein. Sie ließen ihre eigenen Heiratsgründe als armselige Ausreden erscheinen.
Andererseits wäre sie jeder Abwechslung beraubt, wenn die beiden nicht mehr da wären. Ihr einziger Begleiter wäre dann das Elend - und Lady Antonia sowie gelegentliche Nachrichten von Ivan. Seine Reisenotizen nannte Lucy diese Briefe bitter, denn sie kamen jedesmal aus einem anderen Ort. Eine Woche in York. Drei Tage in Scarborough, dann ein kurzer Aufenthalt in London, gefolgt von einer Reise nach Portsmouth. Es war zweck-los, ihm zu schreiben, denn Ivan war ständig in Bewegung—
Lucy bemühte sich, Valerie ihr Unglück nicht anmer-ken zu lassen. »Aber danach kommt ihr doch wieder zu uns, nicht wahr?« fragte sie. »Es wird hier so einsam ohne euch.«
Valerie tätschelte ihre Hand. »Das würde ich natürlich gerne. Du und Lady Westcott wart so freundlich zu uns in diesen Wochen. Aber James muß seine Vorlesungsreihe neu gestalten, und in der Driscoll School werden die Ferien bald vorüber sein. Ich habe noch nicht einmal seine Wohnung gesehen. Ich vermute, daß sie eine richtige Junggesellenbude ist. Ich werde wohl alle Hände voll zu tun haben, sie bewohnbar zu machen und gemütlich herzurichten.« Sie hob den Kopf. »Vielleicht könntest du mich im September besuchen und mir bei meinen Ein-richtungsarbeiten helfen. O ja«, fügte sie eifrig hinzu, »es wäre wundervoll, wenn du mit uns nach London kommen könntest.«
Lucy schob eine Locke beiseite, die der Abendwind ihr ins Gesicht geweht hatte. Vielleicht sollte sie wirklich nach London zurückkehren, überlegte sie. Zwar wußte sie nicht, ob Ivan sich dort aufhielt, aber seine Freunde würden dort sein, und vielleicht wußten sie etwas über seinen Verbleib. Außerdem war sie es müde, auf dem Lande die vernachlässigte Ehefrau zu spielen. Da war es schon besser, in die Stadt zurückzukehren und sich der Gesellschaft als die neue, mit messerscharfem Verstand begabte Gräfin von Westcott zu präsentieren. Ihre Überlegungen gewannen langsam Gestalt. Sie wollte Aufsehen in der Stadt erregen, ehe die Saison endete. Und vielleicht würde genau das Ivan aus seinem Versteck hervor-treiben.
»Ich glaube, ich werde mit euch nach London kommen«, sagte sie mit neu erwachter Zuversicht. »Ich werde das Stadthaus wieder in Betrieb nehmen, und wir können dort wohnen, während eure Wohnung hergerichtet wird.«
Valeries Begeisterung wich einer leichten Besorgnis.
»Was ist, wenn ... Glaubst du, das wäre ...«
»Meinst du, Ivan könnte sich dort aufhalten? Das werden wir bald feststellen«, antwortete Lucy entschlossen.
Drei Tage später - in London - hatte sie ihre Antwort.
Ivan wohnte nicht im Stadthaus. Allerdings erfuhr sie vom Butler, der es von der Köchin wußte, deren Schwester bei den Varneys im Dienst stand, daß der Graf dort vor kaum einer Woche zu einem abendlichen Tanz aufgetaucht war.
Und er schien sich in übler Laune befunden zu haben.
Er habe mit jeder Frau getanzt, sich beinahe mit Lord Haverling wegen dessen Schwester geprügelt, sich dann mit einem seiner Freunde gestritten und sei früh gegangen - in ziemlich angetrunkenem Zustand.
Lucy hörte den Bericht des redseligen Butlers mit gekreuzten Armen und ungeduldig wippender Fußspitze an. Sie wußte nicht, was sie mehr verletzte: seine Aufmerksamkeiten anderen Frauen gegenüber, seine betonte Vernachlässigung ihrer Person oder sein offensichtliches Unglück. Aber er hatte kein Recht und keinen Grund, sie so schlecht zu behandeln.
»Lassen Sie jemanden herausfinden, wo er wohnt, denn ich möchte ihm eine Nachricht senden.«
Der Butler nickte, und als Lucy nichts weiter sagte, verbeugte er sich und wandte sich zum Gehen. Doch Lucy hatte einen Einfall, und ehe er die Tür erreichte, hielt sie ihn auf. »Außerdem, Simms, würde ich mich gerne mit Ihnen, der Köchin und der Haushälterin zu-sammensetzen; und zwar je eher, desto besser. Ich habe mir vorgenommen, einen Empfang - einen großen Empfang - zu geben, um meine Kusine und ihren Gatten der Gesellschaft vorzustellen, ehe die Jagdsaison beginnt und alle sich aufs Land zurückziehen.«
Daß ihr dieser Einfall
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