Spiel Der Sehnsucht
erst in diesem Augenblick gekommen war und daß sie keine Ahnung davon hatte, wie man ein solches Fest plante, zählte nicht. Valerie verdiente diesen Empfang, und Lucy als der neuen Gräfin von Westcott oblag es, ihn zu geben. Sie würde sich ohnehin, sobald ihre Schwangerschaft sichtbar würde, aus der Gesellschaft zurückziehen müssen. Doch bis dahin wollte sie sich von niemandem bemitleiden lassen.
Außerdem würde sie durch ihren Plan zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie würde Valerie und Sir James in die Gesellschaft einführen, die James angeblich so ablehnte. Und sie hoffte, damit Ivan aus dem Loch, in dem er sich gegenwärtig versteckt hielt, hervorzu-locken.
Valerie war begeistert, als sie die Neuigkeit vernahm, Sir James weniger. Doch seiner jungen Frau zuliebe wollte er jedes Opfer auf sich nehmen, und so stimmte er widerwillig zu. Für die Planung des Ereignisses versicherte Lucy sich der Dienste einer gewissen Madame Leonardo, einer französischen Witwe, die gegen entsprechendes Honorar die Planung und Aufsicht solcher Festi-vitäten übernahm.
Lucy wollte ihr Fest zum Knaller der Saison machen.
Die Tatsache, daß die Saison - bis auf die Vorkommnisse in der Westcott-Familie - ziemlich ereignislos verlaufen war, würde ihr zum Vorteil gereichen. Lucy wußte, daß ihre Heirat Stadtgespräch war. Eine Anstandsdame und der Bastardgraf. Und dann war da Valerie, unbestritten das hübscheste junge Mädchen, das in dieser Saison in der Stadt aufgetaucht und mit einem mittellosen Gelehrten durchgebrannt war, obwohl sie unter den reichsten Männern hätte wählen können.
O ja, es würde nur wenige geben, die nicht zu diesem Empfang kommen würden.
Doch ob Ivan kommen würde, wußte Lucy nicht. Und es gab eine Person, die sie nicht einladen wollte: die Grä-
finwitwe.
Lucy hörte bald, daß Ivan bei Giles wohnte. Jedesmal, wenn sie ausging, rechnete sie damit, daß er ihr über den Weg laufen würde. Sie hoffte darauf und fürchtete sich gleichzeitig davor.
Sie ging nicht oft aus. Morgens blieb sie lange im Bett, damit niemand bemerkte, wie übel ihr oft um diese Tageszeit war. An den Nachmittagen erholte sie sich von den Vormittagen. So blieben nur noch die Abende, und da tat sie ihr Bestes, um der Gesellschaft die Rolle der geistreichen Gräfin vorzuspielen. Sie lachte, sie flirtete, sie tanzte. Leider war sie aufgrund ihres Zustandes nicht kräftig genug, um wirklich lange aufzubleiben, und trüb-te damit ein wenig das Bild, das sie von sich geben wollte. Jedesmal fiel sie nach einem Abend in Gesellschaft todmüde ins Bett. Und am nächsten Morgen begann der Kreislauf aufs neue.
Es war an einem Abend in der Oper, da sie Alexander Blackburn begegnete. Sie und Valerie waren nach der Pause die Treppe zu ihrer Loge hinaufgegangen, und da stand Alexander Blackburn am Ende der Treppe, den Arm um eine gutaussehende Brünette gelegt. Obwohl er Lucy sofort bemerkte, nickte er ihr nur höflich zu. Auch sie blieb nicht stehen, um sich mit ihm zu unterhalten.
Zweifellos war die Dame an seiner Seite, die ihn unge-niert anhimmelte, nicht von der Sorte, die man in Gesellschaft vorstellen konnte, dachte Lucy. Alexander benahm sich also nur, wie es sich gehörte.
Trotzdem war Lucy von der Begegnung niedergedrückt. Alexander war einer von Ivans besten Freunden, und doch hatte er nicht die Höflichkeit besessen, sie an-zusprechen. Dann fiel ihr ein, daß auch Ivan anwesend sein konnte. Vielleicht hatte auch er eine solche Frau an seinem Arm. Bei diesem Gedanken drehte sich Lucy der Magen um.
Sie verbrachte den Rest der Oper damit, durch ihr Glas die anderen Logen und das Publikum im Parkett abzu-suchen. Doch sie sah weder Ivan noch Alex. Niedergeschlagener als je kam sie zu Hause an und legte sich in ihr einsames Bett.
Als die Tage vergingen und Ivan sich nicht rührte, wurde sie zorniger und zorniger. Er benahm sich wie ein verzogener Fünfjähriger.
Wie aufreibend auch die Verwaltung des großen Westcott-Besitzes sein mochte, so hatte er doch keinen Grund, Lucy auf immer aus dem Weg zu gehen. Er hatte sie in diese Ehe gezwungen, und nun spielte er den Beleidigten.
In ruhigeren Momenten sagte sie sich, daß für ihn ihre anfängliche Weigerung, ihn zu heiraten, genauso aussehen mußte wie die Zurückweisung, die er durch seine Mutter und seine Großmutter erfahren hatte. Anders als bei diesen beiden hatte er jedoch die Oberhand über sie gewonnen und sie zu dieser Ehe gezwungen. Leider hatte er genau
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