Spiel Der Sehnsucht
in dem Moment, als er das erreicht hatte, durch seine Großmutter erfahren, daß er wieder manipuliert worden war. Und nun hielt er sich fern.
In anderen Augenblicken jedoch schaffte Lucy es nicht, so vernünftig zu argumentieren. Und daß er sich ausgerechnet an ihr für die Lieblosigkeit seiner Familie schad-los hielt, war nicht gerecht, denn sie war die einzige, die ihn wirklich liebte.
Doch wie auch immer Lucys Stimmung war, eine Wahrheit blieb bestehen: Sie liebte Ivan. Sie war wütend auf ihn, sie sehnte sich nach ihm und sie liebte ihn.
Ivan war genauso unglücklich wie Lucy und genauso unfähig, die Situation zu ändern. Sein erster Zorn auf sie - ein Zorn, der eigentlich seiner Großmutter gegolten hatte - war lang verflogen. Valeries Glück, das diese mit ihrem so unpassenden Ehemann genoß, hatte ihn längst gemildert.
Ivan hatte die beiden eingeholt, ehe sie vor dem Priester das Ehegelübde abgelegt hatten, und hatte lange und eingehend mit Sir James gesprochen. Liebte er Valerie?
Wo wollten sie leben? Hatte Sir James die Mittel, für den Unterhalt seiner Frau aufzukommen?
Sobald Ivan von Valeries künftigem Glück überzeugt war, hatte er sich als Trauzeuge für die Hochzeitszere-monie zur Verfügung gestellt.
Wenn er nur ein Quentchen Vernunft besessen hätte, wäre er danach auf der Stelle nach London zurückgekehrt und hätte mit seiner Frau eine ebenso eingehende Diskussion geführt. Doch der Gedanke an diese Unterhaltung machte ihm mehr Angst, als er sich eingestehen wollte.
Was würde es nützen, wenn er sie dazu brachte, ihm ihre wahren Gefühle für ihn einzugestehen? Er wußte doch schon, daß sie ihn nicht hatte heiraten wollen. Körperlich paßten sie hervorragend zusammen, doch das konnte den klaffenden Abgrund, der zwischen ihnen lag, nicht überwinden. Er war zu dieser Heirat manipuliert worden. Lucy war zu der Heirat gezwungen worden. Da er das eine nicht vergessen konnte, wie sollte ihr das bei dem anderen gelingen?
Also trödelte er in York herum und kümmerte sich um die dortigen Westcott-Besitztümer. Dann reiste er nach Wales, um dort eine Zinnmine in Augenschein zu nehmen. Er redete sich ein, daß diese Reise gerechtfertigt sei, da er seine Geschäfte zu lange vernachlässigt habe und außerdem Zeit zum Nachdenken benötigte. Doch die Wochen waren verstrichen, und je länger er weg war, um so leichter fiel es ihm, die Rückkehr aufzuschieben. In Scarborough hatte er mit einem Schiffsbauunternehmer verhandelt, danach war er nach London gefahren. Er wollte überall sein, nur nicht in Dorset.
Trotzdem fühlte er sich miserabel. Am schlimmsten war es jedoch in der Nacht gewesen, als Alex ihm erzählt hatte, er habe Lucy in der Oper gesehen. Ivan wollte zu ihr gehen, sie in die Arme schließen und alles Mißtrauen vergessen. Doch wie sollte er das schaffen? Nach dieser langen Zeit seiner unentschuldbaren Abwesenheit mußte Lucy ihn hassen.
Also trank er, suchte Streit und beleidigte sogar seine engsten Freunde. Nur zu Lucy ging er nicht, da er Angst hatte, sie würde seine Entschuldigungen nicht annehmen, sondern ihn zurückweisen.
Als er jedoch ihre Einladung zu dem Empfang für Valerie und Sir James erhielt, war ihm klar, daß er ihr nicht länger aus dem Weg gehen konnte. Sie hatte ihm den Fehdehandschuh hingeworfen und dadurch ihre persönlichen Differenzen in eine öffentliche Arena verla-gert. Wenn sie glaubte, ihn zum Narren halten zu können, so sollte sie sich getäuscht sehen.
Lucy befürchtete, sich gründlich verrechnet zu haben.
Denn Ivan hatte auf ihren Brief nicht geanwortet, und der Empfang sollte schon heute abend stattfinden. Gegen Mittag suchte Sir James sie auf.
»Möchtest du, daß ich zu ihm gehe, Lucy, und verlange, daß er mit dir die Gäste begrüßt?«
Eine schmerzliche Röte stahl sich in Lucys Gesicht.
»Nein. Das ist nicht nötig.« Sie wollte nichts weiter erklären und rannte davon. Man konnte einen Mann wohl nicht zwingen, ein guter Ehemann zu sein, dachte sie bei sich. Besonders einen Mann wie Ivan. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, alle Gesellschaftsregeln zu mißachten und alle Frauen, mit denen er in seinem Leben zu tun gehabt hatte, in ihrer, Lucys, Person zu bestrafen.
Aber ach, wie sehr wünschte sie sich, ihn zwingen zu können, bei ihr zu bleiben. Oder ihn zu überzeugen -
oder wenigstens durch Schmeichelei dazu zu bringen.
Sie seufzte. Es hatte keinen Zweck, sich etwas zu wünschen, was nie in Erfüllung gehen würde. Diese
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