Spiel Der Sehnsucht
überzeugt davon, daß er sofort hinter Lucy her sein würde, wenn er sie nur erst kennengelernt hätte.
Nicht, daß Ivan nicht hinter jeder jungen Frau herge-wesen wäre, die ihm über den Weg lief. Doch Antonia wußte, daß Ivan nicht auf ein kleines Schulmädchen hereinfallen würde, das jedesmal dahinschmolz, sobald er seinen brütenden Blick auf ihm ruhen ließ. Während der zwei vergangenen Monate war er der begehrteste Fang der Saison gewesen. Die Mütter waren hinter seinen Titeln her, die Väter hinter seinem Vermögen, und die Mädchen - die Mädchen hinter allem. Seit vier Jahren, als seinerzeit Hai Driscoll, Erbe des Grafen von Lamonte, endlich die dumme kleine Meredith Cavanaugh geheiratet hatte, waren nicht mehr so viele heiße Tränen vergos-sen worden und so viele Mädchenfreundschaften zu Bruch gegangen, wie nun wegen des sogenannten Zigeuner-Grafen.
Doch obwohl ihr Enkel keine Veranstaltung der Saison, die jetzt in vollem Gange war, ausließ, fühlte Antonia, daß etwas nicht stimmte. Er war nicht aufrichtig in seinen Aufmerksamkeiten gegen die jungen Damen. Er sah sich nicht wirklich nach einer Ehefrau um, sondern spielte nur.
Besser gesagt, er spielte mit ihr. Sie stieß einen halb-unterdrückten Ausruf aus.
»Geht es Ihnen gut?« fragte Lucy.
Antonia bezwang ihren Unmut. »Natürlich geht es mir gut. Halten Sie Ausschau nach einer Bank, damit wir uns setzen können.«
Nachdem sie eine verwitterte Holzbank gefunden und sich darauf niedergelassen hatten, begann Antonia mit dem Kristallknauf ihres Stockes zu spielen. Lucy blickte sie erwartungsvoll an und fragte dann: »Bleiben Sie für längere Zeit bei den Fordhams?«
»Es ist leider ein kurzer Besuch, nur für eine Woche«, antwortete Antonia. »Danach fahre ich gleich in die Stadt zurück. Kommen Sie gelegentlich nach London?« fragte sie und tastete sich damit vorsichtig an ihr Thema heran.
Miss Drysdale seufzte. »Nein, obwohl das nicht an mir liegt. Ich vermute, daß ich mich bis zu Prudence's Debüt auf dieses ländliche Dasein beschränken muß.«
»Sie werden sie begleiten, wenn ihre Saison kommt?«
fragte Antonia interessiert, und eine Idee begann sich in ihrem Geist zu formen.
Miss Drysdale zögerte mit ihrer Antwort. Doch dann erwiderte sie mit einem Anflug von Lächeln; »Ich fürchte, daß meine Schwägerin der Aufgabe nicht gewachsen sein würde. Daher bin ich sicher, daß ich mich um Prudence werde kümmern müssen, und möglicherweise um ihre Mutter noch dazu. Bitte mißverstehen Sie mich nicht«, fügte sie hinzu, »denn es wird für mich ein großes Vergnügen bedeuten. Ich kann den Tag kaum erwarten, an dem ich endlich wieder nach London komme.«
»Vielleicht ist dieser Tag gar nicht so fern.«
Sofort wurde Lucy wachsam. »Es ist wohl das Beste, Lady Westcott, wenn ich aufrichtig zu Ihnen bin. Auch wenn Ihre Andeutungen vieldeutig sind, muß ich Ihnen mitteilen, daß ich auf dem Heiratsmarkt nicht zur Verfü-
gung stehe.«
Antonia war insgeheim froh, daß sie nie zum Erröten geneigt hatte. Statt dessen runzelte sie die Stirn und sah das Mädchen mit ernstem Blick an. »Auch ich stehe dem Heiratsmarkt nicht zur Verfügung, obwohl ich einen großen Teil meiner Zeit in der Stadt verbringe. Wenn Sie also glauben, daß ich für meinen Enkelsohn auf Braut-schau bin - und Sie glauben das, geben Sie es zu -, so befinden Sie sich im Irrtum. Er ist noch nicht zur Heirat bereit. Eines Tages vielleicht, aber jetzt noch nicht. Nein, ich habe Sie nicht in den Garten gebeten, um Sie mit meinem widerspenstigen Enkel zusammenzubringen. - Ich möchte Ihnen für die Dauer der Saison eine Stelle in meinem Haushalt anbieten.«
Das hatte Miss Drysdale nicht erwartet, und in der Zeit, die Lucy brauchte, um sich wieder zu fangen, betrachtete Antonia sie eingehend. Makelloser Teint, dichtes, glänzendes, mahagonifarbenes Haar. Intelligente grüne Augen, die lebhaft funkelten. Antonia konnte in diesen Augen genau erkennen, wie es im Kopf des Mädchens arbeitete.
»Eine Stelle in Ihrem Haushalt? Was für eine Stelle?«
»Ich glaube, Sie wären genau die richtige Person, um eine der Enkeltöchter meiner verstorbenen Schwester zu beaufsichtigen. Valerie ist ein liebes Mädchen, aber in der Stadt wird sie wie ein Lamm unter Wölfen sein.«
»Und ihre Mutter?«
»Ich fürchte, daß Lady Hareton für eine solche Aufgabe ebensowenig geeignet ist wie Ihre Schwägerin. Sie hat eine nervöse Konstitution, so nennt zumindest sie selbst es.
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