Spiel Der Sehnsucht
Jedenfalls ist sie den Anforderungen der Gesellschaft nicht gewachsen.« Und das kommt mir sehr gelegen, fügte Antonia im stillen hinzu.
»Gibt es keine Verwandten, die das Mädchen bevorzugen würde? Keine Lieblingstante oder ältere Kusine?«
»Ich bin selbst ihre ältere Kusine und gleichzeitig ihre Patentante, aber seien Sie versichert, daß das Kind mit einer jüngeren und rüstigeren Begleiterin viel glücklicher wäre. Zögern Sie nicht, Miss Drysdale; Sie sagten doch selbst, daß Sie gerne wieder nach London fahren würden. Falls Sie Bedenken haben, Ihre Familie zu verlassen - nun, die wird Ihre Abwesenheit gewiß überstehen. Au-
ßerdem«, fügte sie mit einer Handbewegung hinzu, »ist es doch nur für ein paar Monate. Danach sind Sie von jeder Verpflichtung Valerie gegenüber entbunden.«
Das erregte Leuchten in Lucys Augen entging Antonia nicht. Sie hatte angebissen! Um jedoch ganz sicherzuge-hen, beugte die alte Dame sich zu Lucy hinüber und legte die Hand auf ihren Arm. »Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie meiner Bitte nachkämen.«
Lucy konnte ihre Aufregung kaum meistern. Hier war die Chance, auf die sie gewartet hatte!
Als sie heute mit ihrer Familie zu den Fordhams gekommen war, hatte sie gehofft, im Gespräch mit Lady Westcott eine angenehme Abwechslung zu finden. Und nun tat sich ihr eine Möglichkeit auf, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hatte vorstellen können. Sie mußte sich zurückhalten, um nicht aufzuspringen und begeistert um die ungerührte alte Frau herumzutanzen.
»Ich nehme Ihr Angebot an«, sagte sie, wohl wissend, daß ihr breites Grinsen die Nüchternheit ihrer Worte Lügen strafte. Doch das war ihr gleichgültig. Sie würde wieder nach London kommen! Sie würde sich wieder in der Gesellschaft geistvoller und intelligenter Menschen bewegen.
Und sie würde Sir Mawbeys Vorlesungen besuchen können.
Lucy hatte bisher nicht so recht an die Kraft von Bitt-gebeten geglaubt; jetzt aber wollte sie nie wieder daran zweifeln, denn alle ihre Gebete hatten in der Gestalt von Lady Antonia Thornton, Gräfinwitwe von Westcott, ihre Erhörung gefunden.
Lady Westcott erhob sich. »Sehr gut. Lassen Sie uns in den Salon zurückkehren und Ihre Familie informieren.
Ich möchte übermorgen nach London abreisen, würde Ihnen das passen?«
Wie sich dann zu Lucys Enttäuschung herausstellen sollte, vergingen aber noch vier Tage bis zur Abreise. An zwei von diesen Tage lag Hortense mit einer Migräne im Bett, verzweifelt darüber, daß ihre ›liebste Lucy‹ sie verlassen wollte. Lucy hätte nie gedacht, daß ihre Schwägerin mit so inniger Zuneigung an ihr hing; allerdings vermutete sie, daß sich hinter dieser Zuneigung ein gut Teil Hilflosigkeit verbarg. Ihr war klar, daß die Kinder rücksichtslos über Hortense hinwegtrampeln würden, wenn sie, Lucy, nicht da war, um ihnen Einhalt zu gebieten.
Zum Glück war wenigstens Lucys Mutter über ihre neue Anstellung begeistert, wenn auch aus anderen Gründen als Lucy selbst. Irene Drysdale hatte sich nie damit abgefunden, daß ihre Tochter unverheiratet war.
Sie bedauerte den Mangel an passenden Gentlemen in den ländlichen Gebieten Somersets - oder besser gesagt, den Mangel an Gentlemen, die Lucy genehm waren.
London dagegen war voller heiratswilliger Herren.
Lucy hatte nicht die Absicht, ihrer Mutter mitzuteilen, daß der einzige Londoner Gentleman, für den sie sich interessierte, lediglich einen akademischen Titel besaß.
Sie wußte nicht einmal, ob Sir James verheiratet war. Nur weil er in seinen Briefen keine Ehefrau erwähnt hatte, mußte das nicht heißen, daß er ledig war. Trotzdem neigte sie dazu, ihn sich als Junggesellen vorzustellen.
Lady Westcotts Kutsche holte sie bei Sonnenaufgang ab. Bis London war es eine ganze Tagesreise, und die Gräfinwitwe war entschlossen, die kommende Nacht unter ihrem eigenen Dach zuzubringen. Lady Valerie Stanwich sollte in einigen Tagen nachfolgen.
Lucy war damit sehr einverstanden, denn das würde ihr Zeit geben, Einzelheiten über Sir James' Vorlesungen herauszufinden. Möglicherweise würde sie Lady Valerie mitnehmen müssen, doch das machte nichts. Sie wäre damit zufrieden, Sir James von Angesicht zu Angesicht zu sehen, das Licht seines hellen Geistes auf sich scheinen zu lassen und zu versuchen, etwas von seinem Wissen in sich aufzusaugen. Die Aussicht auf ein solches Vergnügen ließ sie vor Glück aufseufzen.
»Sie scheinen sich zu freuen, das Landleben
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