Spiel Der Sehnsucht
mehr, länger hierzubleiben. Der Friede und die Ruhe auf dem Lande begannen langsam, ihr verlockend zu erscheinen. Außerdem war jede Faszination, die sie Sir James gegenüber empfunden hatte, beim ersten Treffen geschwunden.
Oder hatte sie bereits in dem Augenblick zu schwinden begonnen, da sie Ivan kennengelernt hatte?
»Verflixt!« Sie goß sich etwas Wasser in die Waschschüssel, erfrischte darin ihr Gesicht und spülte ihren Mund aus. In ihrem Kopf begann es sich zu drehen, und schnell richtete sie sich wieder auf.
Sie hatte zuviel getrunken - ein weiterer Grund, nach Houghton Manor zurückzugehen. Sie hatte sich in letzter Zeit überhaupt sehr ungehörig benommen, zuviel getrunken, zuviel getanzt. Einem Mann hinterherge-schmachtet, der nicht dafür geschaffen war, die aufrichtige Zuneigung einer Frau zu erwidern.
»So kann es nicht weitergehen«, sagte sie laut zu dem blassen Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegensah.
Doch sich das nur zu sagen, reichte nicht. Nein, sie mußte weg von hier, weg von Ivan.
Lucy trocknete ihr Gesicht ab und holte tief Luft. Sie wollte jetzt wieder hinuntergehen, und gleich morgen früh würde sie Lady Westcott um eine Unterredung bitten. Danach würde sie sich so schnell wie möglich in die Kutsche nach Exeter setzen.
Doch all diese guten Vorsätze erwiesen sich als nutzlos, sobald sie ihr Zimmer verlassen hatte. Kaum hatte sie die Tür hinter sich zugezogen, sah sie sich Ivan gegen-
über.
Sie blieb kurz stehen und entschloß sich dann, einfach weiterzugehen. »Mylord«, nickte sie ihm höflich zu, als sie auf ihn zukam. Er sollte sich nicht einbilden, daß sie sich länger hier oben, allein mit ihm, aufhalten würde.
Als er Lucy sah, verhielt er seinen Schritt und vertrat ihr den Weg. Nach Mr. Pierces dunkler Warnung, dem schlechtverhehlten Interesse von Miss Riddingham und dem ständigen Gedanken an Ivans Unaufrichtigkeit war das einfach zu viel.
»Was wollen Sie hier eigentlich?« fragte sie wütend.
Ivan lächelte, doch es war kein glückliches Lächeln.
»Das könnte ich Sie auch fragen.«
Lucy richtete sich auf und schob resolut das Kinn vor.
»Wenn Sie es genau wissen wollen, ich wollte mich ein wenig frisch machen. Und Sie?«
Ivan verschränkte die Hände im Rücken und wippte auf seinen Absätzen. »Ich will mich nur vergewissern, daß in meinem Hause nichts Unziemliches vor sich geht.«
Lucy war einen Moment sprachlos. »Sie wollen doch nicht andeuten, daß Sie mich eines solchen Betragens verdächtigen?«
»Sie haben sich schon einmal so betragen.«
»Ich! Ich?« Lucy war so erregt, daß sie stotterte. »Wenn Sie das meinen, wovon ich glaube, daß Sie es meinen ...«
»Sie haben mich mehr als bereitwillig geküßt. Ich frage mich, wen Sie sonst noch geküßt haben.«
Lucy starrte ihn an. »Was unterstellen Sie mir? Daß ich mich hier oben mit jemandem getroffen habe? Wenn Sie das denken, müssen Sie blind sein. Sir James ist so mit Lady Valerie beschäftigt...«
»Was ist mit Elliot Pierce?«
Lucys Temperament war am überkochen. »Elliot Pierce? Das können Sie nicht ernst meinen!« Das war doch einfach zu lächerlich. Aber gleichzeitig war es unerträglich. »Mich interessiert überhaupt kein Mann, Mylord.
Wahrscheinlich ist es allein Ihr eigenes schlechtes Gewissen, das Ihnen jetzt solche schäbigen Ideen eingibt. Mit wem haben Sie hier ein Rendezvous? Mit der älteren Miss Latner oder mit der jüngeren? Oder vielleicht mit Miss ...«
»Mit Ihnen.«
Ivans Worte fielen mitten in Lucys Satz, mitten in ihre Anklage, mitten in ihren Zorn. Verblüfft, zum Schweigen gebracht durch diese zwei Worte, starrte sie ihn an.
»Mit mir?«
»Ja.«
Er streckte die Hand aus und berührte leicht mit seinem Daumen Lucys Unterlippe, eine sanfte, zärtliche Bewegung, die all ihre Entschlüsse zunichte machte.
»Sie ... Sie spielen mit mir. Sie sollten nicht...«
»Nein? Es ist genau umkehrt. Sie spielen mit mir, Lucy.«
Lucys Lippen prickelten von der Berührung. Sie brannten. Dann strichen Ivans Finger über ihre Wange, zeichneten ihre Form nach bis zum Hals. Lucy begann zu zittern.
Das letzte noch funktionierende Teilchen ihres Verstandes stellte fest, wie gut Ivan sein Repertoire beherrschte. So schrecklich gut. Es war, als habe er eine schlummernde Kraft entfesselt, der sie sich als willenloses Opfer ergeben mußte.
Innerlich schrie sie nach Rettung und wollte doch gar nicht gerettet werden.
»Spiel mit mir, Lucy; ich möchte, daß du es
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