Spiel Der Sehnsucht
nur Ort und Zeit, Thornton, ich werde dasein.«
»Nein!« schrie Lucy. Sie sah die beiden Männer an.
Obwohl sie den Grund ihrer plötzlichen Feindschaft nicht verstand, wußte sie, daß es etwas mit ihr selbst zu tun haben mußte. »Er hat nichts damit zu tun, Ivan, nichts! Ich will nicht, daß ihr beide euch wie zwei Rauf-bolde auffuhrt, obwohl ihr euch so nahe steht wie Brü-
der.«
»Danke, Miss Drysdale«, sagte Elliot lächelnd und neigte sein Haupt.
»Genug davon!« rief Lady Westcott. »Ivan, ich möchte dich in der Bibliothek sehen, nachdem ich mit Miss Drysdale gesprochen habe.«
Die Männer gingen, und die Tür fiel mit einem ankla-genden Geräusch zu. Lady Westcott blickte Lucy schwei-gend an. »Nun«, sagte sie schließlich. Sie kam auf Lucy zu, den Stock mit dem Kristallknauf in der Hand. »Ich habe mir das selbst zuzuschreiben.«
»Sie?« Das hatte Lucy nicht erwartet, nachdem sie doch nun endgültig Lady Westcotts Pläne mit Ivan und Valerie zunichte gemacht hatte. Sie hatte damit gerechnet, daß die alte Frau ihr wütende Vorwürfe machen und sie hinauswerfen würde. Und dazu hatte sie auch das Recht.
»Ich hätte ihn besser im Auge behalten sollen. Und Sie auch«, fügte die Gräfinwitwe hinzu und blickte Lucy durchdringend an.
»Es ist wohl kaum Ihre Schuld«, murmelte Lucy. »Sie hatten mich als Anstandsdame eingestellt. Ich hätte es besser wissen müssen - und jetzt weiß ich es besser. Die Schuld liegt ganz bei mir.«
Lady Westcott tappte mit der Fußspitze auf den Boden. »Bis morgen nachmittag wird jedermann Bescheid wissen. Wir müssen schnell handeln.«
Lucy nickte. »Ich werde sofort anfangen zu packen.
Soll ich ... Würden Sie ... Kann Simms mich von irgend jemand zur Poststation bringen lassen?«
»Zur Poststation? Wenn Sie sich jemals wieder in an-ständiger Gesellschaft bewegen wollen - sogar wenn es nur auf dem Lande sein sollte -, dann gibt es nur eine Handlungsweise, Miss Drysdale. Und das ist nicht die Flucht.«
Lucy starrte Lady Antonia verständnislos an. »Sie möchten doch sicher nicht, daß ich weiter als Valeries Anstandsdame hierbleibe. Das würde auch ihren Namen in den Skandal verwickeln. Das wollen Sie doch bestimmt nicht.«
»Ich will diese Angelegenheit auf die einzig korrekte Weise zu Ende bringen. Ich will, daß Sie meinen Enkel heiraten, und zwar so schnell wie möglich. Natürlich wird es Gerede geben. Doch wenn Sie erst verheiratet sind, wird man diesen Ausrutscher der großen Leidenschaft zuschreiben, die er und Sie füreinander empfinden. Also«, fuhr sie fort, »schlage ich vor, daß Sie auf der Stelle an Ihre Mutter und Ihren Bruder schreiben. Ich werde gleichfalls heute abend einen Boten nach Somerset schicken, um Ihre Verwandten von der bevorstehenden Hochzeit zu informieren und sie einzuladen. Wenn sie kein eigenes Haus in der Stadt haben, können sie hier wohnen.«
Sie hielt inne und sah Lucy erwartungsvoll an. »Sie wollen doch Ihre Familie bei der Hochzeit dabeihaben, nicht wahr?«
Lucy starrte die Frau mit ungläubig geöffnetem Mund an, unfähig zu verstehen, was diese sagte.
Bevorstehende Hochzeit? Ihre und Ivans Hochzeit?
Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Lady Westcott, ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
»Und ob das möglich ist. Sie haben alle meine Pläne zuschanden gemacht, junge Frau. Sie haben Ivan verführt, obwohl Sie wußten, daß ich andere Pläne mit ihm hatte. Das wenigste, was Sie jetzt tun können, ist, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Es geht hier nicht nur um Ihren Ruf, wissen Sie. Sie haben sich rücksichtslos benommen, und dem muß jetzt ein Ende gesetzt werden.«
Indem sie so sprach, stelzte Lady Westcott aus dem Zimmer, ähnlich wie kurz zuvor Ivan, und schloß energisch die Tür hinter sich.
Lucy war von allem, was in so kurzer Zeit auf sie eingestürmt war, so verwirrt, daß ihr nur ein Satz darauf einfiel: »Ivan wird dem nie zustimmen«, rief sie Lady Antonia durch die geschlossene Tür nach, »er wird nicht zustimmen! Und ich auch nicht!« Die letzten Worte unterstrich sie durch zorniges Aufstampfen. Doch die Tür dämpfte ihre Stimme, und der Teppich verschluckte ihre wütende Geste.
Trotzdem hörte Antonia Lucys Ausruf, doch sie glaubte nicht daran.
Auf dem Gesicht der Gräfinwitwe ging ein Lächeln auf, und ihre Augen glänzten triumphierend, als sie zur Bibliothek ging. Sie stand nahe vor dem Ziel, sehr, sehr nahe. Ihr letzter Notnagel hatte gehalten, und jetzt ging es
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