Spiel der Teufel
Sie stiegen aus und gingen in die heiligen Hallen zu
Prof. Jürgens, der seit einem halben Jahr Leiter der Rechtsmedizin
war, weil sein Vorgänger, Prof. Reinhardt, sich in den
vorzeitigen Ruhestand begeben hatte. Es war allerdings kein
richtiger Ruhestand, Reinhardt war jetzt als Berater für Kriminaldokumentationen
im Fernsehen tätig, wo er mit seinen
Fachkenntnissen brillieren konnte.
Jürgens war Ende vierzig, hatte einen jungenhaften Charme
und stets ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Die Zusammenarbeit
mit ihm gestaltete sich wesentlich einfacher als mit
Reinhardt, da er immer ein offenes Ohr hatte und auch seine
Analysen und Autopsieergebnisse in für Laien verständlicher
Weise erklärte, während Reinhardt meist mit Fachbegriffen um
sich warf, obwohl er genau wusste, dass weder Henning noch
Santos kaum etwas davon verstanden.
Jetzt war Jürgens' Gesicht wie eine Maske, ernst und undurchdringlich,
kein Lächeln, kaum ein Verziehen des Mundes, nur
ein tiefer Seufzer, als er erst Santos und danach Henning die
Hand reichte.
»Hallo«, begrüßte er sie. »Er liegt schon auf meinem Tisch.
Dauert aber noch 'n Augenblick, bis wir anfangen können, ihr
wisst ja, wie das läuft.«
»Hast du ihn dir schon näher angeschaut?«, fragte Henning
und ging zu dem kalten Metalltisch in dem kalten Raum, auf
dem der Tote lag. Jürgens zog das Laken von Gerds Gesicht.
Für einen Moment herrschte absolute Stille. Gerds Gesichtszüge
waren entspannt und doch auf eine gewisse Weise starr,
was vielleicht auch nur am Licht lag, das in der Rechtsmedizin
anders war als in den Büros des Präsidiums. Schließlich sagte
Henning leise: »Als würde er nur schlafen.«
»Ein sehr langer Schlaf«, bemerkte Jürgens trocken. »Es heißt,
er habe sich mit Auspuffgasen das Leben genommen. Das
wundert mich eigentlich.«
»Wieso wundert dich das?«
»Schaut her, die Fingernägel. Sie sind nicht rosa, normalerweise
ein typisches Zeichen für eine Kohlenmonoxidvergiftung. Er
hätte die Dämpfe über einen längeren Zeitraum einatmen müssen,
aber danach sieht es nicht aus, denn auch sein Gesicht
müsste diese rosa Färbung aufweisen, die Leichenflecken müssten
tiefrot sein und, und, und ... Dazu kommen noch einige
andere Merkmale, die ich euch aber ersparen will. Ich glaube
nicht, dass er im Auto gestorben ist, und wenn, dann nicht
durch Auspuffgase. Aber ich hab hier schon die verrücktesten
Dinge erlebt, deshalb halte ich mich erst mal zurück.«
»Kannst du schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen?«
»Laut Lebertemperatur zwischen ein und drei Uhr letzte
Nacht. Noch genauer eingrenzen kann ich's, wenn ich ihn aufgeschnitten
habe.«
»Zwei Uhr dreiundzwanzig«, bemerkte Santos lapidar.
»Hä?«
»Kleiner Scherz von Lisa«, warf Henning schnell ein, um weitere
Fragen zu unterbinden. »Kanntest du ihn?«
»Wer kannte ihn nicht?«, war die Gegenfrage von Jürgens.
»Außerdem war er öfter mal hier und hat bei Autopsien zugeschaut.
«
»Was heißt öfter mal?«
»Öfter jedenfalls als vorgeschrieben. Er scheint sich sehr für
mein Metier interessiert zu haben.«
»Hast du eine Erklärung dafür?«, wollte Santos wissen.
»Nein. Es gibt aber noch ein paar Kollegen von euch, die hin
und wieder herkommen, um Autopsien beizuwohnen. Ist nicht
unbedingt unüblich ... Aber nun zum Wesentlichen. Auf dem
Totenschein steht Suizid ...«
»Genau deswegen sind wir hier«, wurde Jürgens von Henning
unterbrochen. »Es gibt Anzeichen, dass es keiner war, sondern
die Sache inszeniert wurde. Kann natürlich auch sein, dass wir uns
irren, aber wenn du sagst, dass er nicht durch Auspuffgase gestorben
ist, dann bekräftigt das nur unsere Hypothese. Du wirst vermutlich
eine Menge Alkohol in seinem Körper finden...«
»Das weiß ich schon, zwei Flaschen Wodka. Um's kurz zu machen,
auf was soll ich achten?«
»Auf dem Beifahrersitz lagen besagte zwei leere Wodkaflaschen.
Seine Frau versichert jedoch glaubhaft, dass er eine tiefe
Aversion gegen dieses Zeug hatte. Er trank nur selten Alkohol,
und schon gar keinen hochprozentigen Stoff. Und es gibt auch
noch einige andere Merkwürdigkeiten.«
»Das heißt, ich soll nach etwas suchen, das einen Suizid ausschließt.
Richtig?«
»Richtig. Auch wenn die Staatsanwaltschaft nur eine Routineuntersuchung
veranlasst, um die Sache so schnell wie möglich
vom Tisch zu kriegen. Untersuch ihn auf Medikamente, die ihn
außer Gefecht gesetzt
Weitere Kostenlose Bücher