Spiel der Teufel
erwähnt?
22. Ist Nina auch in Gefahr? Unwahrscheinlich, der oder die
Mörder interessieren sich nicht für sie, sonst hätten sie sich
zuerst an sie gehalten. Hat Gerd von der Schwangerschaft
vielleicht niemandem erzählt, um Nina zu schützen? Macht
Sinn. Nina ist nicht in Gefahr.
Henning atmete ein paarmal tief durch und las dann noch einmal
die Punkte, die er aufgeschrieben hatte.
O verdammt, ich komm nicht weiter. Ich leg mich jetzt drei
Stunden aufs Ohr und ... Rosanna, Rosanna, Rosanna. Sie
war knapp fünf Jahre alt und kam bei einem Unfall ums Leben. Ein Todesraser, von dem nach wie vor jede Spur fehlt.
Moment, vielleicht hat Gerd auf eigene Faust nach ihm gefahndet
und ... Bitte hör auf, dachte er, warf den Stift auf
den Tisch, erhob sich, ging auf den Balkon und schaute einen
Moment über das noch nächtliche Kiel. Das Gesicht von
Gerd tauchte vor ihm auf, ein jungenhaftes Gesicht, das ihn
jünger erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war. Die meisten,
die ihn nicht kannten, glaubten, er hätte kaum die dreißig
überschritten, dabei stand er kurz vor seinem vierzigsten
Geburtstag. Und er sah die kleine Rosanna, ein Wirbelwind,
ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, mit langen
blonden Haaren. Lediglich die blauen Augen hatte sie von
ihrem Vater, große blaue und neugierige Augen. Und sie war
überdurchschnittlich intelligent gewesen. Er erinnerte sich
an Fragen, die sie gestellt hatte, die die meisten Vierjährigen
nie stellen würden. Für sie war alles interessant, sie hatte ihre
Umgebung sehr aufmerksam und auch kritisch beobachtet,
und sie hatte viel gelacht. Ein glückliches Mädchen, behütet
aufgewachsen bis zu diesem schrecklichen Tag im Februar.
Henning hatte ihren kleinen zertrümmerten Körper in der
Rechtsmedizin gesehen und nichts als Wut und Trauer und
eine unendliche Leere empfunden. Der Tod eines Kindes war
immer etwas Besonderes, im negativen Sinn. Der Tod eines
Kindes, das man selbst nur zu gut kannte, war noch härter
zu verkraften. Gerd hatte stumm neben ihm gestanden, seine
Miene wie zu Eis erstarrt, keine Tränen. Erst als sie wieder
draußen waren, brach es aus ihm heraus, und es dauerte fast
eine halbe Stunde und mehrere Gläser Bier, bis er sich einigermaßen
beruhigt hatte. Henning hatte ihn nach Hause gefahren,
wo Nina mit versteinertem Gesicht auf ihn wartete.
Seitdem war er nicht mehr bei ihnen gewesen. Und nun
fragte er sich, was in den vergangenen zwei Monaten geschehen
war, ob es einen Bruch in der Beziehung zwischen Nina
und Gerd gegeben hatte. Henning hatte oft genug davon gehört,
dass der Tod eines Kindes eine Ehe wie ein zu Boden
fallendes Glas zerbrechen ließ. Und zwangsläufig musste er
an seine eigene gescheiterte Ehe denken, an die schönen Jahre
und wie es schließlich immer mehr bergab ging, sie sich
nichts mehr zu sagen hatten, weil er sich abkapselte. Noch
heute trauerte er manchmal dieser Zeit hinterher, aber allmählich
verblasste die Erinnerung, und er dachte nur noch
an seine beiden mittlerweile fast erwachsenen Kinder, die er
viel zu selten sah. Dass er überhaupt wieder ins normale Leben
zurückgefunden hatte, lag zu einem großen Teil an Lisa,
die ihm gezeigt hatte, dass es auch ein Leben nach einer gescheiterten
Ehe gab, und mit der er sich besser verstand als
mit seiner Exfrau in den meisten Jahren ihrer Ehe. Seit der
Scheidung giftete sie nur noch gegen ihn, stellte immer neue
und immer unverschämtere Forderungen, obwohl er finanziell
auf Sparflamme lebte und sie leicht hätte arbeiten gehen
können, doch noch gelang es ihr, sich dieser Pflicht zu entziehen.
Aber spätestens wenn seine Tochter Elisabeth aus
dem Haus war, würde sie sich nicht mehr drücken können.
Und sollte sich bestätigen, was seine Tochter ihm kürzlich
mitgeteilt hatte, nämlich, dass seine Ex einen festen Freund
hatte, der sogar des Öfteren bei ihr übernachtete und umgekehrt,
würde Henning einen Anwalt einschalten und prüfen
lassen, ob sie nicht gezwungen werden könnte, sich eine Arbeit
zu suchen. Als gelernte Betriebswirtin und Übersetzerin
würde es ein Leichtes für sie sein, etwas Geeignetes zu finden,
und wenn sie von zu Hause aus arbeitete.
Er merkte, wie er immer müder wurde, es war mittlerweile
kurz nach halb fünf. Er ging zurück ins Zimmer, schloss
die Balkontür und legte sich, so wie er war, auf das seit vielen
Wochen nicht bezogene Bett. Augenblicklich schlief er
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