Spiel der Teufel
hatte, es
anzunehmen. Aber wie hatte Koljakow doch gesagt, er brauche
keine Angst zu haben, er solle das Wort -Drohung- aus
seinem Gedächtnis streichen. Und manche Menschen müssten
einfach zu ihrem Glück gezwungen werden.
MITTWOCH, 22.10 UHR
Henning und Santos warteten, bis die unbekannte Frau ausgestiegen
war und ihr Fahrzeug abgeschlossen hatte. Sie gab
mit der Hand ein Zeichen, und Henning und Santos gingen
auf sie zu. Im fahlen Licht der Straßenlaternen war ihr Gesicht
nur schwer zu erkennen, zumal sie sich leicht abgewandt
hatte.
»Danke, dass Sie mich nicht enttäuscht haben. Gehen wir nach
oben.«
»Sie wohnen hier?«, fragte Henning.
»Oben erkläre ich Ihnen alles«, antwortete sie.
Sie fuhren mit dem Lift in den sechsten Stock. Der Geruch von
Bohnerwachs vermischte sich mit anderen undefinierbaren
Gerüchen, die sich nicht wesentlich von denen unterschieden,
die Henning aus dem Haus kannte, in dem er wohnte. Hinter
einer Tür dröhnte der Fernseher, hinter einer andern stritten
sich ein Mann und eine Frau lautstark in einer Sprache, die
Henning nicht verstand. An den Wänden hatten Sprayer irgendwann
vor Jahren ihre ersten Versuche gemacht, und niemand
hatte es bis jetzt für nötig befunden, diese neu zu streichen.
Wer hier lebte, das wusste Henning aus eigener Erfahrung,
war es für die Eigentümer nicht wert, in einer sauberen
Umgebung zu wohnen, lediglich der Boden wurde regelmäßig
gewachst.
Die Frau steckte einen von vielen Schlüsseln in ein Schloss und
machte die Tür auf. Die Luft in der Wohnung war stickig und
abgestanden, kalter Rauch hatte sich in jeder Ritze des Zimmers
festgesetzt. Auf einem kleinen Tisch stand ein überquellender
Aschenbecher, und über den Tisch verteilt lag Asche.
Außerdem waren darauf zwei benutzte Gläser, wobei sich in
einem noch ein wenig Flüssigkeit befand, eine Flasche Wodka
und zwei Flaschen Bier und neben der Couch mehrere leere
Schnaps- und Bierflaschen. Das Sofa und der Sessel waren zerschlissen,
der Schrank ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten.
Eine einsame Glühbirne baumelte von der Decke und spendete
spärliches Licht. Ein kleiner Fernseher versteckte sich in
der Ecke neben dem Fenster, ein altes Kofferradio stand daneben.
»Nehmen Sie Platz«, sagte die Frau, die sehr ausgeprägte Gesichtszüge
hatte, mit hervorstehenden Wangenknochen und
fein geschwungenen Lippen. Das Auffälligste waren jedoch die
großen blauen Augen, die einen besonderen Kontrast zu ihren
dunkelbraunen, fast schwarzen schulterlangen Haaren bildeten.
Sie war eher klein, vielleicht einsfünfundsechzig, schlank,
hatte schmale Hände mit langen grazilen Fingern, und sofern
dies unter dem weiten Pullover auszumachen war, hatte sie eine
gute Figur. Ihre leicht rauchige Stimme unterstrich das außergewöhnlich
attraktive Erscheinungsbild. »Es sieht zwar nicht
sehr einladend aus, aber es ist momentan der einzige Ort, wo
wir sicher sind.«
»Ist das Ihre Wohnung?«, wollte Santos wissen.
»Nein, ich benutze sie nur hin und wieder, ich lebe sehr anonym.
«
Anonymer als hier kann man gar nicht wohnen, dachte Henning.
»Dürfen wir Ihren Namen erfahren? Wir wissen gerne, mit
wem wir es zu tun haben.«
»Verzeihen Sie, wenn ich mich noch nicht vorgestellt habe.
Nennen Sie mich Ivana. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke«, sagte Henning mit Blick auf die dreckigen Gläser
und den ewig nicht abgewischten Tisch und setzte sich mit
Santos auf die Couch.
»Ist das Ihr richtiger Name? Wir können auch anhand des
Nummernschilds Ihre Identität herausfinden.«
»Tun Sie das, es wird Sie nicht weiterbringen. Aber vergeuden
wir doch nicht unsere kostbare Zeit mit solchen Kleinigkeiten.
Hier, mein Führerschein und mein Ausweis«, sagte sie und
holte beides aus der Tasche. »Ivana Müller, wohnhaft hier, obwohl
ich hier gar nicht wohne.«
»Sehr origineller Nachname. Sind die Papiere gefälscht?«,
wollte Henning wissen.
»Das überlass ich Ihrer Phantasie.«
Henning holte tief Luft, reichte ihr den Ausweis und Führerschein
und sagte: »Kommen wir zur Sache. Welche Informationen
haben Sie über Gerds Tod?«
Ivana holte ein Glas aus dem Schrank, goss sich Cola ein und
setzte sich auf den einzigen Stuhl. Sie trank das Glas zur Hälfte
leer und behielt es in der Hand. »Ich möchte mich entschuldigen,
dass ich Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereite, aber
Gerd hat mir aufgetragen, dass ich, sollte ihm
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