Spiel der Teufel
etwas zustoßen,
unbedingt mit Ihnen sprechen soll. Und er hat gesagt, dass Sie
sein Freund sind.« Dabei sah sie Henning prüfend an, als wollte
sie in seinen Augen lesen, inwieweit sie ihm vertrauen konnte.
»Das stimmt, wir waren gute Freunde«, erwiderte Henning.
»Was hat Sie beide verbunden?«
Ivana lächelte geheimnisvoll und antwortete: »Wir waren auch
gute Freunde. Sehr, sehr gute Freunde.«
»Das hört sich fast an, als hätten Sie ihn geliebt.«
Ivana trank das Glas aus und stand auf. Sie ging zum Fenster,
zog den Vorhang zu und sagte, wobei sie Henning erneut lange
in die Augen blickte: »Ja, ich habe ihn geliebt - und er mich.
Gerd war der beste Mann, den ich je getroffen habe.« Sie fuhr
sich mit der Zunge über die Lippen und ließ einen Moment
verstreichen, bevor sie weitersprach. »Und ich bin schuld an
seinem Tod.«
»Moment, Moment, damit ich das recht verstehe«, sagte Henning
mit ungläubigem Blick, »Sie hatten eine Affäre und ...«
Ivana schüttelte vehement den Kopf. »Nein, das war keine Affäre,
das war viel mehr. Aber das werden Sie nie verstehen.«
»Vielleicht ja doch, obwohl ich Gerd nur als liebevollen Ehemann
und Vater in Erinnerung habe«, erwiderte Henning ironisch.
»Ich sage ja, Sie werden das nie verstehen ...«
»Dann erklären Sie's uns.« Santos legte ihre Hand beruhigend
auf die von Henning, den sie selten so aufgewühlt und durcheinander
erlebt hatte, was sie gut nachvollziehen konnte, wurde
er doch von jetzt auf gleich mit etwas konfrontiert, das das
in den letzten vierundzwanzig Stunden ohnehin ins Wanken
geratene Bild von seinem Freund praktisch vollends zerstörte.
»Sie glauben, Gerd hat eine glückliche Ehe geführt, aber da
muss ich Sie enttäuschen. Er und Nina hatten sich schon lange
auseinandergelebt...«
»Das stimmt nicht, das ist eine infame Lüge!«, brauste Henning
mit hochrotem Kopf auf. Santos hatte Mühe, ihn festhalten,
damit er nicht aufsprang.
»Beruhigen Sie sich wieder. Ich hatte nicht vor, Ihre heile Welt
zu zerstören. Sie wollen doch hören, warum Gerd sterben
musste. Dazu müssen Sie aber die ganze Geschichte kennen.
Ich hoffe, Sie haben ein wenig Zeit mitgebracht.«
»Sagen Sie uns erst, warum Sie schuld an seinem Tod sind«,
ergriff Santos wieder das Wort.
»Weil ich ihn in etwas verwickelt habe, was ich nie hätte tun
dürfen. Ich werde mir das nie verzeihen und die Schuld für den
Rest meines Lebens mit mir herumtragen.«
Ivana seufzte auf und wollte bereits weitersprechen, als Henning
sagte: »Könnte ich vielleicht doch ein Bier haben?« Und
als sie ihm ein Glas reichte: »Danke, ich trinke aus der Flasche.
« Er öffnete sie und nahm einen langen Schluck.
»Gerd und ich haben uns in St. Petersburg kennengelernt, als
er für zwei Jahre dort war. Ich weiß nicht, ob es Zufall, Schicksal
oder Fügung war, aber mir scheint, ich musste ihn einfach
kennenlernen. Ich bin Polizistin. Meine Ausbildung habe ich
in Moskau gemacht und auch drei Jahre dort gearbeitet. Ich
komme aus einem Dorf ungefähr tausend Kilometer von Moskau
und gut zweitausend Kilometer von St. Petersburg entfernt.
Meine Eltern und meine beiden Brüder leben noch dort,
nur meine Schwester Larissa und ich wollten weg, das heißt,
ich wollte unbedingt die Welt sehen, meine Schwester musste
erst überredet werden wegzugehen. Es gab keine Perspektive,
nicht einmal genügend Männer. Anfang 2001 ist sie nach St.
Petersburg gegangen.« Sie trank von ihrer Cola, wartete und
überlegte, wie sie die nächsten Worte wählen sollte. Schließlich
fuhr sie fort: »Larissa ist vier Jahre jünger als ich, aber wir haben
uns immer blendend verstanden. Sie war eine begnadete
Malerin, sie hatte ein unglaubliches Talent, das haben ihr alle
bestätigt. Larissa hätte es wirklich schaffen können, wenn diese
verfluchten Schweine nicht gewesen wären.« Sie stockte erneut,
kämpfte mit den Tränen und trat wieder ans Fenster,
Henning und Santos den Rücken zugewandt.
»Was ist passiert?«, fragte Santos nach einer Weile.
Ivana drehte sich um und lehnte sich gegen die Fensterbank.
»Sie hat sich von St. Petersburg aus regelmäßig bei mir gemeldet.
Entweder hat sie geschrieben oder kurz angerufen, und
ich habe sie dann zurückgerufen. Larissa hatte kein eigenes
Telefon, ich musste sie immer in einem Postamt anrufen. Aber
auf einmal brach der Kontakt ab. Das letzte Mal, dass ich mit
ihr gesprochen habe, war am 7. November 2001.
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