Spiel des Lebens 1
sich in Bunkern versteckt.
Emily hatte Sonntage nie sonderlich gemocht. Irgendwie waren sie eine Mogelpackung. Einerseits war es ein ruhiger Tag, an dem man »frei« hatte, doch andererseits war der Sonntag schon wieder so nahe am Montag dran, dass es eigentlich kein wirklicher Feiertag war. Und das lag nicht nur an all den Krickettturnieren und Golf-Events, zu denen ihre Eltern sie damals sonntags immer mitgeschleppt hatten. Es lag an dieser besonderen Stimmung, diese Ruhe vor dem Sturm, ähnlich wie die drückende Schwüle vor einem Gewitter.
Als sie gerade den Wasserkocher in der Küche anstellte, hörte sie vertraute Schritte.
»Emily!«
Es war Julia, wie so oft in ihrem Manchester-United-Kapuzenpullover. »Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht! Ist alles klar? Wohin bist du gestern so plötzlich verschwunden?«
»Ich?« Es schien Lichtjahre her zu sein, dass sie mit Julia in der Bibliothek des King’s College gesprochen hatte. Sie hatte ihrer Freundin heute Morgen eine kurze SMS geschickt, hatte ihr aber darin nichts von den Ereignissen in Canary Wharf mitgeteilt. Und auch jetzt zögerte sie, ob sie ihr die Geschichte erzählen sollte. Sie sah es ihr an, dass sie ein tolles Wochenende gehabt hatte, während Emily vor Angst fast wahnsinnig geworden war. Außerdem, so sagte sie sich, hatte sie über diese Geschichte jetzt schon mit so vielen gesprochen: Carter, Bloom, ihren Eltern und dann auch noch Matt und Jim. Es würde ihr nicht helfen, das Ganze noch einmal zu erzählen. Vielleicht später, aber nicht jetzt.
Probleme , sagte sie zu sich selbst, wurden schließlich nicht dadurch gelöst, indem man immer und immer wieder über sie redete, auch wenn die Psychologen, allen voran Detective Bloom, ständig das Gegenteil behaupteten. Doch sie merkte im gleichen Moment, dass dies nur eine Ausrede war. Die Wahrheit war, so schien es ihr, dass sie Julia diese Geschichte nicht erzählen konnte.
Julia war ihre beste Freundin, und eigentlich sollte sie die Wahrheit erfahren, aber Emily hatte das Gefühl, dass sie es jetzt nicht konnte. Wenn es einem schlecht ging, verstanden einen meistens die Leute am besten, denen es auch schlecht ging. Und danach sah Julia im Moment überhaupt nicht aus. Im Gegenteil. Sie hatte ein Wochenende erlebt, wie es sich Emily auch immer vorgestellt hatte, wenn sie sich gefragt hatte, wie es am College wohl so zuging. Das Studentenleben, Partys, Spaß, Fröhlichkeit. Und sie? Alles, was sie machte, schien in einem Desaster zu enden, Scherben, Trümmer und Tränen. Sie wollte niemand anderem den Rest des Wochenendes verderben mit ihren Horrorstorys. Und vor allem wollte sie durch das schöne und perfekte Leben anderer nicht ständig daran erinnert werden, dass in ihrem Leben irgendetwas ganz gewaltig schieflief.
»Ich musste bei meinen Eltern noch ein paar Sachen holen.« Sie goss heißes Wasser in ihren Becher. »Und, wie war dein Wochenende noch?«
Julia grinste. »Nicht schlecht«, antwortete sie.
»Nicht schlecht?« Emily musterte Julia. »Du meinst beziehungstechnisch nicht schlecht?«
»Yep! Jonathan ist echt süß, Em. Wir waren gestern Abend zusammen im Musical Chicago , im London Palladium. Und weiß du, was er gesagt hat? Wenn ich mal nach Chicago will, können wir hinfliegen.«
Julias Augen funkelten, und Emily musste lachen. Das war wirklich typisch für Julia. Hals über Kopf entflammt, ohne Rücksicht auf Verluste. Genauso schnell machte sie mit ihren Lovern auch Schluss, aber davon wusste Jonathan ja noch nichts.
»Chicago? Na ja, andere schenken ihrer neuen Freundin Blumen.« Sie war selbst überrascht, wie sie in ihren normalen lockeren Tonfall zurückfand. Als ob nichts passiert war.
»Wer spricht denn von neuer Freundin ?«, entgegnete Julia, aber Emily kannte sie zu gut. Wenn sie es nicht bereits getan hatte – Julia würde sich Jonathan definitiv schnappen. Das sah sie ihr einfach an.
Sichten und vernichten, nannte Julia diese Strategie immer. Was nicht ganz nett klang. War es auch nicht immer.
Emily gönnte es ihr, insgeheim war sie sogar froh – denn wenn Julia so abgelenkt war, würde sie nicht merken, was in ihrer Freundin wirklich vorging. Sonst hatte Julia für so etwas eine echte Antenne.
»Hattest du noch einen schönen Sonntag?«, fragte Julia.
»Ganz okay«, log Emily. »Ich habe heute noch einiges für morgen gemacht, die Woche wird ja recht lang mit all den Seminaren und Vorlesungen.«
»Ich und Jonathan gehen heute Abend zusammen essen,
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