Spiel des Lebens 1
bist.
Sie umklammerte das Kissen und guckte Ryan an, der jetzt vor ihr am Bett kniete. Und allmählich verschwanden die grauenvollen Bilder. Es störte sie überhaupt nicht, dass Ryan hier war. Endlich war sie nicht mehr allein. Das war das Wichtigste.
»Es ist vorbei«, sagte Ryan und nahm sie in die Arme.
Und sie ließ es geschehen, versank in Ryans Armen, wie in einem Meer. Doch dies war nicht mehr das dunkle Meer, auf dessen Boden sie gezogen wurde, um dort zu ertrinken, dies war ein Meer der Ruhe und Geborgenheit.
Er hielt sie lange so.
»Soll ich dir einen Tee machen?«, fragte er schließlich.
Sie nickte.
Und war sicher, dass sie sich noch nie so über einen Tee gefreut hatte.
22
S ie saßen beide auf dem Bett in Emilys Zimmer, sie hielt die Teetasse umklammert. Sie hatte im Traum geschrien, und Ryan hatte es gehört. Ohne zu zögern war er sofort herübergekommen. Er war da gewesen, als sie ihn gebraucht hatte. Ihre Hände zitterten noch immer. Sie hatte ihm die ganze Geschichte erzählt. Die Sache mit dem Postfach noch mal, dann das, was in der U-Bahn passiert war. Von den Anrufen in der Bibliothek, der seltsamen SMS , dem Rätsel und dem Bildschirmschoner, der auf einmal ein ganz anderer gewesen war. Und dann von dem Toten, Jack Barnville, den sie auf dem Stuhl gefesselt in dem Penthouse in Canary Wharf gefunden hatte. Getötet. Durch Starkstrom. Und von der Polizei. Von Carter und Bloom. Und auch von den zwei Leibwächtern, die unten standen und wahrscheinlich gerade wieder in ihre Ohrmikrofone nuschelten. Carter hatte ihr eigentlich eingebläut, das alles vertraulich zu behandeln, doch das war ihr im Augenblick egal. Es gab sonst niemanden, dem sie die Geschichte erzählen wollte. Bei ihren Eltern hatte sie ein seltsames Gefühl, so als würden sie irgendetwas vor ihr verheimlichen. Und Julia, ihre beste Freundin, schwebte im siebten Himmel mit ihrem Jonathan. Sie hatte ihr all das nicht erzählt, weil sie es irgendwie nicht konnte. Aber sie konnte diese tonnenschwere Last auf ihrer Seele nicht länger ertragen. Irgendwann musste sie sie abladen. Sie musste mit jemandem reden, jemandem, bei dem sie sich in diesem Moment wohl und geborgen fühlte und dem sie vertraute. Jemand, von dem sie glaubte, dass ihm die Geschichte auch etwas bedeuten würde. Schließlich hatte das alles seinen Anfang genommen, nachdem sie und Ryan sich auf den Treppen des Tutu’s verabschiedet hatten und Emily in die U-Bahn-Station gegangen war. Na gut, streng genommen hatte es mit dem Luftballon an ihrem Postfach begonnen. Aber der Horror war dann in der U-Bahn erst richtig losgegangen.
Ryan schaute verlegen zu Boden, wusste nicht recht, ob er ihre Hand nehmen sollte, machte eine kleine Bewegung in die Richtung und ließ es dann doch.
»Verdammt, und ich hab dich einfach so in die Nacht davonmarschieren lassen und mich stattdessen um diesen blöden Rüssel, ich meine Nick, gekümmert.«
Jetzt nahm sie seine Hand, und es tat gut. Er zog sie nicht zurück, sondern hielt sie wie etwas Wertvolles, Kostbares umfasst, schaute sie verlegen an und senkte dann seinen Blick.
»Was war denn eigentlich mit Nick?«, fragte sie.
»Ist doch völlig unwichtig«, sagte Ryan. »Was mit dir ist, das ist wichtig.«
»Nein, ich will es hören.« Sie ertappte sich dabei, wie sie lächeln musste. »Ich muss auch mal was von normalen Menschen hören, nicht nur von irgendwelchen Geisteskranken, die über Heere von Obdachlosen befehlen und Leute mit Starkstrom hinrichten.«
Ryan schüttelte den Kopf. »Nick … «, begann er. »Dieser Idiot. Der hat sich dermaßen einen reingelötet, dass sie ihm den Magen auspumpen mussten. Dann hat er sich noch am Ausgang vom Tutu’s an der Nordtreppe richtig auf die Fresse gelegt. Platzwunde am Kopf. Im Guys Hospital mussten sie das nähen. Und der Typ war so besoffen, dass sie die Wunde ohne Betäubung nähen konnten.«
»Was?«
»Ja, das machen die öfter, haben sie gesagt.« Sie spürte Ryans Finger, die sanft über ihren Handrücken strichen. »Wenn da solche Typen wie der Rüssel ankommen, sind die oft dermaßen hacke, dass die gar nichts mehr merken. Betäubungsspritzen kosten Geld, und das kann man dann auch sparen. Haben die gesagt.«
»Geht’s ihm jetzt besser?«
»Ja, er ist wieder zu Hause in seinem Wohnheim unten in Denmark Hill. Haben vorhin telefoniert. Der Samstag war die absolute Hölle für ihn. Heute geht’s ein bisschen besser. Aber der wird trotzdem weitermachen mit seinem
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