Spiel des Lebens 1
genug die Augen davor verschließt oder den Kopf in den Sand steckt.
Vielleicht war es besser, ihre Eltern erst einmal in dem Glauben zu lassen, dass sie, Emily, kooperationsbereit war. Vielleicht würde sie dann Zeit haben, mehr herauszufinden. In der Zwischenzeit konnte sie ja so tun, als wollte sie nach Singapur. Und derweil selbst einige Erkundigungen einziehen. Wenn die Polizei schon zu unfähig war, und ihre Eltern entweder nichts wussten, oder mit dem, was sie wussten, hinterm Berg hielten, musste sie halt selbst das Ruder in die Hand nehmen. Zum Handeln gab es niemals eine Alternative.
»Dann fliegen wir morgen oder übermorgen«, sagte ihre Mutter.
Das war dann doch etwas plötzlich, fand Emily.
»Morgen?«, fragte Emily. »Übermorgen? Das habe ja wohl ich zu entscheiden, wann ich mit euch irgendwo hinfliegen will.«
»Nein, meine kleine Madam«, sagte ihre Mutter, und ihre Stimme war auf einmal sogar noch fester und bestimmter. »Solange du noch nicht volljährig bist, hast du das nicht zu entscheiden. Und volljährig bist du erst in ein paar Tagen.«
Emily funkelte sie an.
»So ist das also!«, zischte sie. »Nicht genug, dass mich dieser Irre terrorisiert und trotz teurer Sicherheitsvorkehrungen hier ins Haus eindringt«, sie merkte, wie ihre Stimme zu zittern begann, »jetzt zwingen mich auch noch meine eigenen Eltern, Dinge zu tun, die ich gar nicht tun will!«
Eben war sie noch einverstanden gewesen, vielleicht doch zu verreisen. Aber dass ihre Mutter jetzt mit der Gesetzeskeule und der Volljährigkeit kam, war einfach zu viel.
»Was ist denn so schlimm daran zu verreisen?«, fragte Mum.
»Daran ist nichts schlimm!« Emilys Tonfall wurde schneidender. »Schlimm ist aber, in einer solchen Situation von den eigenen Eltern zu etwas gezwungen zu werden. Die auch noch so tun, als ob eine Reise das Problem lösen würde.«
Sie stampfte aus dem Wohnzimmer und rannte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
»Emily, überleg es dir!«, rief ihre Mutter ihr hinterher.
Doch da hatte Emily die Tür zu ihrem Zimmer schon zugeknallt.
* * *
Es war Abend geworden. Ihre Mutter war irgendwo im Erdgeschoss und buchte wahrscheinlich schon die Flüge für die bevorstehende Reise. Die beiden Bodyguards standen vor dem Haus, und ihr Vater war, wie fast immer, in der Bank und würde wahrscheinlich erst gegen Mitternacht nach Hause kommen und auch dann noch irgendwelche Telefonkonferenzen mit dem Büro in New York abhalten. Zuhören wollten ihre Eltern ihr offenbar nicht. Sie nur weit weg von hier bringen. Den Problemen davonlaufen. Da war Ryan anders gewesen. Er hatte sich um sie gekümmert, als sie diesen furchtbaren Albtraum gehabt hatte, hatte ihr Tee gemacht und ihr geduldig zugehört. Sie sah wieder seine dunklen, schönen Augen vor sich. Die Augen, die sie angeblickt hatten, als sie aufgewacht war und die ganz anders waren als die bohrenden, durchdringenden Augen, die sie aus diesem verfluchten Sternenhimmel in ihren Träumen anstarrten.
Sie schlich durchs Haus und hörte die Stimme ihrer Mutter, die gerade mit irgendjemandem telefonierte. Doch die Tür war geschlossen, sodass Emily keine Worte heraushören konnte. Zwei Türen neben ihrem Zimmer war der Raum mit der Steuerung der Alarmanlage, den Monitoren, die den Garten und die Zimmer filmten und der Computer, der mit den Kameras verbunden war und der die gesamte Alarmanlage des Hauses bewachte. Und dann gab es noch die Panikräume, in die man sich verschanzen konnte, falls Einbrecher im Haus waren. Drei gab es. Einen im Obergeschoss, einen im hinteren Teil und einen im vorderen Teil des Hauses.
Da kam ihr ein Gedanke.
Wieso hatte es dieser Irre eigentlich geschafft, ins Haus reinzukommen? Mit dieser teuren Alarmanlage, die mehrere hunderttausend Pfund kostete und von der ihr Dad immer behauptete, sie sei die sicherste in ganz London?
Sie betrat mit vorsichtigen Schritten den Kontrollraum und setzte sich vor die Monitore. Sie sah den Garten auf einem der Monitore, die Hauseinfahrt, wo Jim und Matt standen, die Garage, das Wohnzimmer. In einer Ecke des großen Wohnzimmers sah sie ihre Mum, das schnurlose Telefon am Ohr. Was sie wohl gerade sagte? Ihr Blick huschte über die Schalter. Irgendwo hier mussten das Mikrofon und der Lautsprecher sein, ihr Vater hatte ihr das nach der Installation erklärt.
Sie zögerte einen Moment, dann drückte sie auf den Schalter. Sofort hörte sie Mums Stimme. Sie zuckte zusammen, stellte den Lautstärkeregler nach unten
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