Spiel des Lebens 1
wieder aufschrecken, als hätte sie in Eiswasser gebadet.
»Du musst auch besser werden. Denn das Finale kommt bald. Und glaub mir, das Finale hat es in sich!«
Die Verbindung endete.
37
E mily stand unruhig auf dem Gehweg vor dem College, auf dem sich eine ganze Traube von Studenten und Professoren versammelt hatte, die alle nach dem Bombenanschlag die Universität verlassen mussten. Julia hatte sie obendrein auch noch aus den Augen verloren. Die Feuerwehrmänner, die das College geräumt hatten, hatten Julia und ein paar andere Studenten angewiesen, das Treppenhaus auf der Südseite zu benutzen. Emily und ihre Leibwächter waren die letzten gewesen, die den Nordausgang nehmen durften. Das College war noch gesperrt, solange das Bombenräumkommando nicht sicher war, dass tatsächlich keine weiteren Sprengsätze irgendwo lagen.
Jetzt standen sie auf der Straße. Ein Feuerwehr-Officer brüllte Anweisungen über den Bürgersteig. Neben ihr standen Matt und Jim, schirmten sie vor der Menge ab, kauten scheinbar unbeteiligt Kaugummi und murmelten ab und an in ihre Funkgeräte.
Sie schaute in die Gesichter der beiden, und es kam ihr so vor, als wäre, neben dem Anschlag, noch etwas Besonderes geschehen, denn ihre ansonsten ausdruckslosen Pokergesichter zeigten wenige Emotionen, als sie sprachen.
Es war tatsächlich ein Spiel, und sie war die Spielfigur, die dieser Verrückte hin und her setzte, wie es ihm passte, während er dabei vollkommen unsichtbar blieb. Das Spiel. Sie die Spielfigur. Er der Spieler. Ein Spiel des Lebens, wie er es nannte, aber doch vielmehr ein Spiel der Angst, der Verfolgung und des Todes.
Die Nachricht auf dem Zettel im Mund der ersten Leiche, die Carter ihr gezeigt hatte. Inmitten von Glasscherben.
Willkommen zum Spiel des Lebens, Emily. Du hast die Wahl. Sieg oder Tod.
Die Bomben, von denen der Spieler gesprochen hatte, hatte die Polizei gefunden und entschärft. Eine war tatsächlich in der Diele der elterlichen Villa gewesen, und Gott wusste, wie der Irre sie dahinbekommen hatte. Aber er war ja schon einmal in ihrem Haus gewesen, hatte die Fotos von Drake gemacht. Und Emily merkte, wie sie diesen Gedanken schon längst verdrängt hatte. Im BMW Mini ihrer Mutter hatte sich ein Sprengsatz unter dem Fahrersitz befunden, ebenso in der Handtasche ihrer Mutter, getarnt als Ersatz-Akku für ihr Handy. Und dann war wie angekündigt noch einer im College gefunden worden, versteckt in der großen Statue des Duke of Wellington im Eingangsbereich. Jener Statue, die Emily an ihrem ersten Tag im College so viel Ehrfurcht eingeflößt hatte.
Matt und Jim hatten ihr versprochen, sie gleich ins Wohnheim zu bringen. Sie wollte sich vergewissern, dass es Ryan gut ging. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie bei ihm Kraft tanken für das, was jetzt kam. Denn Emily war klar, dass sie nun mit ihren Eltern würde reden müssen. Es gab keinen Weg mehr daran vorbei. Mary Lawrence und Jack Barnville gehörten zusammen. Ihre Eltern wussten das. Und sie mussten mit der Sprache herausrücken, ob sie wollten oder nicht. Heute noch, denn morgen war Emilys Geburtstag. Bisher hatte sie nicht mit ihren Eltern gesprochen. Es war nicht gegangen. Zu enttäuscht war Emily gewesen, darüber, dass ihre Eltern ihr irgendetwas vorenthielten, irgendetwas vor ihr verschwiegen, was mit ihrer Vergangenheit und damit auch mit dem furchtbaren Spiel zusammenhing.
Sie konnte sich vorstellen, wie sie reagieren würden. Emily, morgen ist dein Geburtstag. Und denk daran, wir wollen verreisen, du musst weg von der ganzen Gefahr. Wir fliegen in deinen Geburtstag hinein, das ist doch viel schöner, als hier in London ständig Angst zu haben.
Noch war sie in London. Doch wenn sie jetzt schon in der Luft wären, wären sie alle sicher gewesen. Nun gut, dann halt morgen noch der Geburtstag in London, und dann ginge es auf große Reise. Ohne Ryan zwar, aber dafür in Sicherheit. Und möge Gott dafür sorgen, dass der Spieler ihr nicht hinterherreiste. Oder wäre nach ihrem Geburtstag alles schon erledigt? Immerhin hatte der Typ ja ständig auf ihren Geburtstag hingewiesen. Doch irgendwie fürchtete sie schon, dass es so einfach nicht werden würde.
Mein Geburtstag, dachte sie, und sie hätte nie für möglich gehalten, dass sie diesen Tag noch mehr hassen könnte, als sie es ohnehin schon immer getan hatte. Sie wünschte, sie hätte gar nicht Geburtstag, niemals, an keinem Tag im Jahr. Und besonders wünschte sie, gar nicht geboren worden zu
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