Spiel des Lebens 1
schrecklich gewesen, wenn Ryan Nein gesagt hätte.
»Dann erst recht«, sagte Ryan.
Emily tastete nach seiner Hand. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich getan hätte«, begann sie. »Die Nacht, als ich bei dir geschlafen habe. Das war eine so ruhige und entspannte Nacht für mich wie lange nicht zuvor. Kein Vergleich zu den Albträumen in meiner ersten Nacht hier im Wohnheim.«
»Was hast du denn da geträumt?«, fragte Ryan.
»Etwas Unheimliches«, antwortete sie. »Ich hatte das Gefühl, dass jemand in meinem Zimmer war, und es fühlte sich furchtbar echt an.« Sie kuschelte sich näher an ihn heran.
»Jetzt ist auch jemand in deinem Zimmer«, sagte er, und sein Lächeln wurde breiter.
»Ja, Gott sei Dank«, sagte sie und drückte seine Hand fester. »Und du?« Sie sah zu ihm hoch. »Was hast du in deiner ersten Nacht hier im Wohnheim geträumt?«
»Ich? Na ja … «
Emily lächelte, als sie merkte, wie er herumdruckste. »Ist dir das etwa peinlich?«
»Peinlich ist es nicht, aber es ist … Es betrifft … «
Emily schaute ihm in die Augen, wartete, bis er weitersprach.
»Es betrifft was?«
»Es betrifft dich.«
»Mich?«
Ryan zuckte die Schultern. Und da war wieder dieses verschmitzte Lächeln, für das sie ihn am liebsten geküsst hätte. Vielleicht sollte sie es endlich tun. »Ich habe von dir geträumt.«
Emily schaute ihn nur an und sagte nichts.
»Ich habe geträumt, dass wir zusammenkommen. Okay, da war dann noch ein Zebra und ein grünhaariger Hund, und wir sind gemeinsam im Zirkus aufgetreten. Aber Fakt war, du und ich«, er holte tief Luft. »Wir waren ein Paar.«
»Ein Zebra?«, fragte Emily und spürte, wie ein Lachen sich in ihr ausbreitete. Kein hysterisches Lachen, sondern ein glückliches Lachen.
Ryan blieb ernst. »Vergiss den Traum. Ich bin in dich verliebt, Emily.«
Emily schnappte nach Luft. Hatte er das eben wirklich gesagt?
Sie drehte ihren Kopf in seine Richtung und betrachtete ihn lange. Ryan erwiderte ihren Blick schweigend, ohne zu blinzeln.
Irgendwann nahm sie ganz vorsichtig seinen Kopf in ihre Hände. »Ryan«, flüsterte sie. »Du musst ein bisschen Geduld mit mir haben, okay? In meinem Leben ist gerade ziemlich viel Chaos … «
Er lachte leise. »So kann man es auch formulieren.«
»Aber du bedeutest mir im Moment mehr als jeder andere Mensch, den ich kenne«, beendete sie den Satz.
Und dann spürte sie Ryans Lippen auf ihren, während sie sich zurücksinken ließ. War es so in Ordnung?, dachte sie kurz. Oder war es zu schnell?
Nein, es fühlte sich gut an, und darum war es richtig.
Und dann stellte sie auch das Denken ein und genoss einfach diesen Augenblick, ließ sich treiben. Zum ersten Mal seit Tagen vergaß sie, dass sie von einem Mörder verfolgt wurde. Sie vergaß die Geheimnisse ihrer Eltern und die Schatten der Vergangenheit.
Das orangefarbene Licht des Zimmers brannte noch lange, wie eine Kerze in der blauschwarzen Nacht, wo die Themse draußen seit Jahrtausenden ihrem Lauf folgte und sich auf der anderen Flussseite die Houses of Parliament im Mondlicht erhoben. Ein warmes Leuchtzeichen der Hoffnung und der Liebe in einer gigantischen Stadt, wie ein Licht in einem Meer der Unendlichkeit.
Wir gehören zusammen, dachte Emily, als sie sich später an Ryan schmiegte und seinen gleichmäßigen Atemzügen lauschte. Und so lange das so war, konnte nichts mehr passieren.
In der Nacht wachte Emily einmal auf. Oder träumte sie nur, dass sie aufwachte? Worte hallten aus dem Nirgendwo. Wie groß du geworden bist. Und wie schön. Emily versuchte, die Augen zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Aber sie hatte das Gefühl, dass jemand sie anblickte, lange und intensiv. Und als ihr das bewusst wurde, konnte sie sich wieder beruhigt in den Schlaf sinken lassen.
Es war nur Ryan. Und er passte auf sie auf.
35
TAG 9: 9. SEPTEMBER 2011
Noch einen Tag, und es war so weit. Er hatte ihr gestern ein wenig Ruhe gegönnt, bis auf die unschöne Sache mit der Hypnose, aber das hatte sie ja selbst gewollt. Und der Ausklang des Tages war doch genau so, wie ihn sich junge Mädchen immer wünschten. Ein bisschen Romantik, ein bisschen Improvisation, viel Kitsch. Und ein echtes Liebesgeständnis. Das wirkte immer, zumindest bei Mädchen wie Emily.
Ja, er hatte ihr etwas Ruhe gegönnt, um sich zu entspannen. Die würde sie brauchen, denn morgen war ihr Geburtstag.
Er ließ das Sonnenlicht sich in seinem Siegelring spiegeln und dachte an seinen eigenen Geburtstag. Den
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