Spiel des Lebens 1
sein, denn alles, selbst das Nichts, war besser, als ständig von diesem Irren terrorisiert zu werden.
»Kann ich noch einmal Ihr Handy haben, Ms Waters?« Einer der Polizisten in Zivil hatte sich genähert. Sie hatte ihm vorhin bereits ihr Handy gegeben. Die wollten wahrscheinlich versuchen, wieder die GPS des Handys zu orten, das Emily angerufen hatte. Das Handy von ihm . Sie hatte wenig Hoffnung, dass es funktionieren würde, doch es musste alles probiert werden.
»Haben Sie das Handy von dem Typen lokalisieren können?«, fragte sie.
»Leider nicht«, sagte der Beamte. »Wir müssen noch einen zweiten Weg versuchen, und dafür müssen wir kurz in die CPU ihres Handys.«
»Wenn es hilft«, willigte sie ein und gab dem Mann das Gerät.
»Danke, bekommen Sie gleich zurück.«
Nach drei Minuten hatte sie ihr Handy wieder in der Hand. Als sie es in die Tasche stecken wollte, quietschten plötzlich Reifen auf der Straße hinter ihr. Matt und Jim tauschten einen Blick, den sie nicht recht deuten konnte. Türen schlugen. Ein Einsatzwagen von Scottland Yard hatte direkt hinter ihr gebremst, jetzt kam noch ein zweiter Wagen der Metropolitan Police. Carter und Bloom stiegen aus dem ersten Auto. Die Türen des hinteren Wagens blieben geschlossen.
»Ms Waters«, begann Carter in einem Ton, der gleichzeitig freudig, aber auch ein wenig besorgt klang, so als wäre er nicht sicher, ob er der kleinen Emily nicht wieder zu viel zumutete. Der Blick von Detective Bloom, die, mit ihrer Eulenbrille, ihrem Dutt und ihrem strengen Gesichtsausdruck, wieder ausgesprochen verkniffen dreinschaute, tat ein Übriges dazu.
»Ms Waters, ich mache es kurz.«
Dann mach es auch kurz, dachte Emily.
»Ich denke, wir haben den Täter.«
Das kam dann doch unverhofft. Emily beschloss, erst mal gar nichts zu sagen. Oder vielmehr war sie zu gar nichts anderem in der Lage.
Sie hatten ihn? Einfach so?
Carter zeigte mit dem Kinn zum Einsatzwagen, der hinter seinem Wagen am Straßenrand geparkt hatte. Sie blickte hinein, konnte aber durch die gespiegelten Scheiben nichts erkennen.
Carter sah sie prüfend an. »Allerdings weiß ich nicht, ob das vielleicht ein Schock für Sie sein wird.«
Was sollte das jetzt wieder bedeuten? Emily schaute ihn mit großen Augen an.
»Diesmal hat der Täter einen großen Fehler gemacht«, sagte Carter und wühlte gleichzeitig in seiner Manteltasche herum. Wahrscheinlich suchte er wieder seine Zigaretten. »Er wurde vor der Explosion als Einziger auf der Dachterrasse des Colleges beobachtet. Das kann natürlich Zufall sein.« Er zögerte wieder. »Wir konnten auch den Anruf auf Ihrem Handy zurückverfolgen.
Die CPU , dachte sie unwillkürlich.
Carter sprach weiter: »Er führte zu einem Handy, das in einem der Zimmer des St. Thomas Wohnheims lag.«
St. Thomas Wohnheim?
»Sie kennen diese Person, der es gehört.« Er gab den Polizisten im zweiten Einsatzwagen ein Zeichen. Die Türen öffneten sich und zwei Constables stiegen aus, mit einem jungen Mann in ihrer Mitte.
Emily kannte diese Person tatsächlich, sie kannte sie sehr gut. Die dunklen Haare, das verschmitzte Gesicht, das jetzt gar nicht mehr fröhlich aussah, die dunklen Augen, die auf den Boden gerichtet waren und ihren Blick nur kurz trafen. Kein Zweifel, sie erkannte ihn sofort, doch es konnte, nein, es durfte nicht sein!
Ein einziger Laut entrang ihrer Kehle, fragend und anklagend, so voller Unglauben und Enttäuschung, so bitter und so scharf, als hätte sie Salzsäure getrunken.
»Ryan!«
38
R yan!
Emily konnte nicht schreien, nichts sagen, sich kaum bewegen. Es war, als hätte jemand ihren ganzen Körper mit Beton ausgegossen.
Ryan.
War das wirklich möglich?
Nein. Nein! Nein!!!
Ryan, den Julia ihr vorgestellt hatte, und den sie gleich gemocht hatte? Die Storys, die sie sich in der U-Bahn auf der Fahrt zum King’s College erzählt hatten. Über Dublin und Guinness und Heinrich VIII . Der am gleichen Abend für sie alle gekocht hatte, was zwar furchtbar geschmeckt hatte, aber trotzdem lustig gewesen war.
Ryan, der ihr in der ersten Nacht schon Geld für ein Taxi geben wollte, damit sie heil nach Hause kam. Der ihr im Tutu’s ein Guinness ausgegeben hatte, das er so umständlich über die Tanzfläche transportiert hatte, dass die Hälfte davon verschüttet worden war.
Ryan, der sich ihre Geschichte angehört hatte, der sie ernst genommen hatte, der sie geweckt hatte, als sie wieder einen ihrer Albträume hatte. Er hatte nicht
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