Spiel des Schicksals
Treadwell zum Terminal. Als wir zusammen durch die Zollabfertigung gingen, bot er mir an, sein Taxi mit mir zu teilen, ein Vorschlag, der mich in gewisser Weise erleichterte, denn bei dem Gedanken, aufs Geratewohl in die Stadt zu fahren, wurde mir ein wenig angst. Während der zwanzig Kilometer langen Fahrt vom internationalen Flughafen – der nahe der Tibermündung liegt – wechselten John Treadwell und ich kaum ein Wort. Wir schauten beide aus dem Fenster und betrachteten die herrliche Landschaft, die an uns vorüberzog, als wir auf der Autobahn dahinrasten. Unser Fahrer war ein redseliger, kleiner Mann, der an anderen Autos vorbeiraste, ständig rote Ampeln überfuhr und uns von den Kochkünsten seiner Schwester erzählte. John erklärte mir, daß mein Hotel nicht innerhalb der Stadtmauern liege, was mir nichts sagte, aber daß es sich trotzdem in einem guten Wohnviertel befinde. Er wies unseren Fahrer an, mich zuerst abzusetzen, und meinte dann: »In diesem Viertel sind die Busverbindungen sehr gut, weil es wohlhabend ist. Und wenn Sie zu Fuß gehen wollen, dann brauchen Sie auch nicht lang, um zu den Stadtmauern zu gelangen.«
»Was ist innerhalb der Stadtmauern?«
»Rom natürlich. Ah, da sind wir ja schon.«
Nachdem wir durch viele gewundene, enge Straßen gefahren waren, an denen entzückende, vornehme Herrenhäuser lagen, bog das Taxi in die Via Archimede ein und hielt schließlich vor dem Hotel Palazzo Residenziale. Die Außenansicht war nicht besonders eindrucksvoll. Eher schlicht und im Stil zu den umgebenden Wohnhäusern passend, hob es sich einzig durch das angrenzende Kino hervor, das angeblich amerikanische Filme zeigte.
Als ich auf dem Zähler sah, daß wir dem Fahrer an die sechzigtausend Lire schuldeten – und ich hastig nachrechnete, daß dies in etwa dreißig Dollar waren –, versuchte ich, John Treadwell meinen Anteil aufzudrängen. Doch er wollte das Geld nicht annehmen.
»Ich werde Sie zurückzahlen lassen, indem Sie mich heute oder morgen auf einer Rundfahrt durch die Stadt begleiten. Sie und Ihre Schwester. Ist das ein Wort?«
»Ich denke, das wäre schön, Mr. Treadwell.«
»Nennen Sie mich John.« Er lehnte sich grinsend aus dem Taxifenster. »Wir Amerikaner müssen doch zusammenhalten. Abgemacht?«
»Abgemacht. Und vielen Dank.«
Ich beobachtete, wie das Taxi die Straße hinunterratterte und hinter einer Biegung verschwand. Dann wandte ich mich dem Hotel zu. Seine Fassade wirkte einladend, die Umgebung war sehr friedvoll. Da gab es kein ständiges Hinein- und Hinauslaufen durch die Doppelglastüren, kein hektischer Portier mühte sich mit ungeduldigen Touristen ab, keine Flut von Taxis staute sich am Bordstein. Anders als das übliche geschäftige Hauptstadt-Hotel war das Palazzo Residenziale die Art von ruhigem Zufluchtsort, den auch ich mir vielleicht für mich selbst ausgesucht hätte. Doch es war gewiß nicht nach Adeles Geschmack.
Adele. Mein Herz fing an zu rasen. Sie hatte sicherlich mein Telegramm erhalten und wartete drinnen auf mich. Würden wir nach vier Jahren Trennung noch wie Schwestern oder wie Fremde sein? Würde es Momente peinlicher Stille geben, oder würden die Worte nur so aus uns heraussprudeln? Wie seltsam, daß ich mich nun nach so langer Zeit und unter diesen Umständen wieder mit ihr treffen sollte.
Ich trat ein. Die Eingangshalle war dunkel und schmucklos, der Teppich ein wenig abgenutzt und die Pflanzen staubig, doch es erweckte noch immer einen gewissen Anschein von Eleganz, der von besseren Tagen zeugte. Auf einer staffeleiartigen Bekanntmachungstafel stand eine Mitteilung in japanischen Schriftzeichen, die, wie ich annahm, die geplanten Programmpunkte für eine Reisegruppe auflistete. Über der Bekanntmachung stand in lateinischen Buchstaben: Takahashi Tours, Kyoto.
Ein paar Leute standen an der Rezeption herum. Alles Japaner. Mit weißen Matrosenhüten und schweren Kameras hatten sie sich, vergnügt plappernd, um einen Postkartenständer geschart. Doch Adele war nicht da. Ich wand mich an ihnen vorbei und näherte mich dem Empfangschef.
»Verzeihung, sprechen Sie Englisch?«
»Ja, Madam.« Er bedachte mich mit einem bezaubernden Lächeln. »Oh, Gott sei Dank! Ob Sie mir wohl weiterhelfen könnten? Ich suche meine Schwester, Adele Harris, die bis vor zwei oder drei Tagen hier im Hotel gewohnt hat. Es ist möglich, daß sie noch hier eingetragen ist und daß sie eine Nachricht für mich hinterlassen hat. Mein Name ist Lydia Harris. Würden
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