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Spiel des Schicksals

Spiel des Schicksals

Titel: Spiel des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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vergessen zu haben ich nur allzu froh gewesen war. Doch ihre Stimme hatte eine Tür aufgestoßen, und als diese Tür erst einmal geöffnet war, konnte sie nicht wieder geschlossen werden. Die Vergangenheit ließ sich nicht noch einmal wegsperren. Unsere Kindheit, unsere Jugend, der Tod unserer Eltern, unser anschließendes Auseinanderleben und unser endgültiger Abschied vor vier Jahren, alles stürmte wieder auf mich ein, als hätten Adele und ich uns erst gestern voneinander getrennt. Am Telefon hatte sie mich Lyddie genannt.
    Ich kniff die Augen fest zusammen, aber man kann sich schmerzlichen Erinnerungen nicht dadurch entziehen, daß man den Kopf in den Sand steckt. Ihr Gesicht erschien vor meinem geistigen Auge, zurechtgemacht mit aufwendigem Make-up, die Frisur nach der neuesten Mode. Mit ihrem hinreißenden Lächeln machte sie sich über mich lustig, foppte mich wegen meiner strengen Pflichtauffassung und versuchte mich zu ihrem lockeren Lebensstil zu bekehren. Diese meine zigeunerhafte Schwester war so ganz anders als ich, mit ihrem ausgeprägten Gespür für Lebensart und Sich-in-Szene-Setzen, das sie auf Partys stets zum Liebling machte.
    Mir war nie bewußt geworden, wie oft ich mich in meinem Leben schon »für immer« von Menschen, die mir nahegestanden hatten, verabschiedet habe. So durchlebte ich in Gedanken noch einmal die letzte Begegnung mit Adele. Ich erinnerte mich an jedes Wort, an jede Geste.
    »Ehrlich, Lyddie, es ist höchste Zeit, daß ich gehe. Ich weiß, daß du mich nicht ernsthaft in dein Leben integrieren willst. Dein ›Privatleben‹ hat dir ja schon immer viel bedeutet. Deshalb ziehe ich eben fort. Und außerdem glaube ich nicht, daß Amerika groß genug für mich ist. Ich will etwas von der Welt sehen. Es gibt so viel zu tun, bevor ich dreißig bin.«
    »Um Himmels willen, Adele, du bist doch erst zweiundzwanzig.«
    »Acht Jahre sind keine lange Zeit. Oh, du hast dein ganzes Leben hübsch geplant, Lyddie, und alles ist bei dir ordentlich aufgeräumt an seinem Platz. Ich bin sicher, es wird alles so klappen, wie du es planst. Ich dagegen…« – sie hatte dramatisch geseufzt –, »… ich weiß nie, was der nächste Tag bringen wird. Es gibt für mich noch so viel zu erleben, bevor ich dreißig bin.«
    »Was ist an dreißig so besonders?«
    »Ach, Lyddie, wenn man erst dreißig ist, ist man alt, und ich will nicht alt sein.«
    »Adele.« Ich hatte nur resigniert den Kopf über sie geschüttelt. Wie haltlos sie seit dem Tod unserer Eltern doch geworden war, wie grundlegend sie sich doch verändert hatte! »Es wäre wirklich an der Zeit, daß du über einen Beruf nachdenkst.«
    »Ich habe doch schon einen!«
    »Einen reichen Mann zu heiraten kann man wohl kaum…«
    »Oh, Lyddie!« In ihrem schrillen Lachen schwang etwas Zänkisches mit. »Ich könnte wetten, du heiratest nie. Du bist einfach zu… zu emanzipiert dazu. Großer Gott, du wirst noch als alte Jungfer enden!«
    Ich breitete die Decke, die von der Stewardeß ausgeteilt worden war, über mich und zog sie bis zum Kinn hoch. Dann preßte ich mein Gesicht gegen das Fenster, in der Hoffnung, einen Blick auf die Welt unter uns zu erhaschen. Aber draußen war es noch dunkel – wir sollten um acht Uhr dreißig morgens auf dem Flughafen Leonardo da Vinci landen –, und die schwach beleuchtete Kabine war voll mit schlafenden Menschen. Im Fenster sah ich das Spiegelbild meines Gesichts, das dem von Adele so ähnlich war. Doch während meine Schwester und ich uns äußerlich sehr ähnelten, besaß Adele noch dieses gewisse Etwas, das sie von mir abhob. Wir hatten die gleiche Hautfarbe, den gleichen Teint, ja sogar von der Figur her waren wir ähnlich. Doch Adele verstand sich auf die Kunst, ihre äußeren Merkmale vorteilhaft zur Geltung zu bringen, während ich mich einfach mit dem zufriedengab, was ich hatte. Das Beste, was ich über mich sagen konnte, war, daß ich die in einem Operationssaal erforderlichen Augen hatte, Augen, die nahezu jeden Gedanken über den Operationsmundschutz hinweg mitteilen konnten.
    Eine Bewegung an meiner Seite riß mich aus meiner Träumerei und brachte mich an Bord der Boeing 747 zurück, wo die Nonne sich eben von ihrem Platz erhob.
    »Entschuldigen Sie, aber Freunde von mir sitzen weiter vorn. Ich habe die Stewardeß gefragt, und sie meinte, ich könne mich ruhig zu ihnen setzen. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich gehe? Ich bin sicher, Sie schlafen besser, wenn Sie allein sind.« Sie holte eine

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