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Spiel des Schicksals

Spiel des Schicksals

Titel: Spiel des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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schlichte Tasche unter dem Sitz hervor und zwängte sich durch den Gang nach vorn.
    Als ich ihr nachschaute und ihren schmächtigen Körper zwischen den schlafenden Passagieren im Vorderteil verschwinden sah, wurde ich zusätzlich von der Ankunft eines Fremden wachgerüttelt. Er trug ein Bordcase in der einen Hand und grinste mich ungezwungen an. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich hierher setze?« fragte er. Ich schüttelte den Kopf.
    Im Nu hatte er sein Köfferchen unter dem Sitz verstaut, den Sicherheitsgurt angelegt und neben mir Platz genommen. »Unsere katholische Bekannte hat sich zu jemandem von ihrem Stand gesellt, und allem Anschein nach kommt sie nicht zurück. Ah, Kreuzworträtsel! Sind Sie ein Fan davon?«
    Ich muß ihn völlig verständnislos angestarrt haben, denn er wiederholte: »Sind Sie ein Kreuzworträtsel-Fan? Das Heft, das da vor Ihnen in der Sitztasche steckt. Hm?«
    Ich schaute stumm nach unten. »O ja… Ich meine, eigentlich nicht. Nur, wenn ich fliege.«
    »Dann fliegen Sie also häufig?«
    Ich dachte an Columbus und Oakland und runzelte die Stirn. »Nein, kaum. Mit den Rätseln kann man sich die Zeit vertreiben. Allerdings führe ich keines davon je zu Ende. Möchten Sie es mal versuchen?« Gleichgültig reichte ich es ihm, und zu meiner Überraschung nahm er es begierig entgegen. »Danke. Ist das Logikrätsel noch ungelöst?« Er blätterte in den Seiten des Heftes. »Aha! Da haben wir’s schon! Alle Achtung, sieht aus, als wäre es eine harte Nuß. Vielen Dank. Diese letzten zwei Stunden werden die längsten sein.«
    Ich starrte meinen neuen Sitznachbarn unverwandt an, während er sich mit sichtlicher Begeisterung in das Rätsel vertiefte, das vor ihm auf dem Tablett lag. Die Art und Weise, wie er das Logikrätsel anging, wirkte beinahe andächtig. Ich beobachtete ihn, wie er die Seite glattstrich, sich auf seinem Platz zurechtsetzte, seine Schultern straffte und wie ein Schuljunge am Ende des Kugelschreibers herumlutschte. Er war schätzungsweise in den Dreißigern, gut gekleidet, mit flottem Haarschnitt und einem ziemlich markanten Profil. Obwohl es mich in den letzten neun Stunden danach verlangt hatte, mich so gut es ging von meiner Umgebung zu isolieren, war ich schließlich diejenige, die den Fremden an meiner Seite mit einem gewissen Interesse musterte.
    Als er plötzlich zu mir aufblickte, zuckte ich zusammen, da mir klar wurde, wie eindringlich ich ihn angestarrt hatte. »Es stört Sie doch hoffentlich nicht, daß ich hier sitze. Auf dieser Seite hier sind die besten Plätze. Ich habe dort hinten gesessen.« Er deutete mit einer Hand über seinen Kopf hinweg. »Zu meiner Linken saß ein alter Schnarcher, und zu meiner Rechten wand sich das Balg, das Sie jetzt in regelmäßigen Abständen kreischen hören. Ich hatte ein wachsames Auge auf diese Seite und hoffte, daß ein Platz frei würde. Nach ein paar Stunden an Bord dieser großen Jets werden die Leute immer unruhig und fangen an, ›Reise nach Jerusalem‹ zu spielen. Ich wette, wenn man eine ernsthafte Studie anstellen würde, dann würde man herausfinden, daß auf dem durchschnittlichen Transatlantikflug nicht mehr als zehn Prozent der Passagiere auf den Plätzen ankommen, auf denen sie abflogen. Es war barmherzig von der Nonne, umzuziehen, bevor ich entweder dem Schnarcher einen Socken in den Mund gestopft oder dem Balg den Hals umgedreht hätte oder beides!«
    Ich blickte ihn noch immer an, während ich gleichzeitig versuchte, mir eine ernsthafte Studie der »Reise nach Jerusalem« vorzustellen.
    Er musterte mich einen Moment lang, und als er merkte, daß er kein Gespräch mit mir zustande brachte, wandte er sich ab und murmelte: »Hm… tja. Das hier ist wirklich eine der schwierigeren Denksportaufgaben…«
    Ich lächelte ein wenig, als er das Rätselheft wieder aufnahm, und wandte meine Aufmerksamkeit der am Horizont aufziehenden Morgendämmerung zu. Sogleich kamen mir Erinnerungen an eine andere Morgendämmerung, während der ich aufgeblieben war, um Wache zu halten. Ich war damals achtzehn Jahre alt und saß am Erkerfenster unseres Wohnzimmers, von dem aus man auf einen taubedeckten Rasen hinabschaute. Meine ein Jahr jüngere Schwester Adele war nicht zu Hause. Sie hatte am Abend zuvor eine Verabredung gehabt und war noch nicht zurück. Meine Eltern und mein jüngerer Bruder, die das Wochenende in San Diego verbracht hatten, hätten eigentlich schon seit ein paar Stunden zu Hause sein müssen. So saß ich denn

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