Spiel des Todes (German Edition)
das SEK auf
die Beine bekam.
Unterkirchbach war ein Dreihundert-Seelen-Ort ohne Kirche, aber mit
Wirtshaus. Bardhyls Handwerker-Kleinbetrieb lag unterhalb dieses Wirtshauses an
einer Seitenstraße, die fünfzig Meter weiter in hohen Mischwald führte. Joe
Ottakring saß an einem runden blauen Tisch auf der Terrasse vor einem kleinen
Braunen und blickte hinunter zu dem Geschäft.
Bardhyl bewohnte mit Frau und Bruder dreieinhalb Zimmer im Wohnhaus
darüber. Der blaue Kastenwagen parkte nicht vor dem Haus. Etwas stimmte nicht.
Ottakring sah auf die Uhr. Zwei Uhr zwanzig. Ringsum über dem Hochwald sammelte
sich das Sonnenlicht und versickerte in den Baumkronen. Aus dem Gesang der
Vögel zu schließen, war es für sie ein schöner Tag.
Die sechs Zivilfahrzeuge des SEK kamen lautlos. Sie bogen nicht unauffällig in die Seitenstraße ein, aber
vollkommen lautlos. Ebenso unspektakulär umstellten die Männer in ihren
furchterregenden Kampfanzügen das Haus und stürmten lautlos das Innere. Findet
Lola Herrenhaus, so lautete ihr Auftrag.
»Keine Rufe, keine Schüsse. Ein gutes Zeichen!«
Ottakring fuhr herum. Homacz stand breit grinsend hinter ihm. Er
nahm die Sonnenbrille ab und zupfte an seiner Krawatte. Sie war breit und
zeigte ein Bergmotiv mit Hirsch und Sonnenuntergang.
»Die sind wirklich spitze, unsere Buam«, lobte Homacz und nickte.
»Unauffällig, dabei ungeheuer wirksam. Ich geh dann mal runter.« Mit
abgespreizten Armen balancierte er über ein Stück Rasen und die vier Stufen zur
Dorfstraße hinunter.
Ottakring hatte den Drang, sich ihm anzuschließen, doch er ließ es
bleiben. Er befand sich im Ausland.
»Ein Verlies haben sie gefunden. Unter dem Haus. Unter dem Keller.
Offensichtlich bis vor Kurzem noch bewohnt. Es ist leer. Das ganze Haus ist
leer. Die Werkstatt auch. Das Auto ist weg.«
Das war die Botschaft, die Homacz mitbrachte. Von Lola keine Spur:
Doch Ottakring war felsenfest davon überzeugt, dass diese Bardhyls sehr eng mit
ihrem Verschwinden verknüpft waren. Alles sah in diesem Moment nach einem
Racheakt aus, aber das würden die weiteren Ermittlungsergebnisse klären.
Zunächst musste Lola gefunden werden. Er hoffte nur, dass … Den worst case mochte er sich nicht ausmalen.
Homacz hatte ein Bein auf einen gefällten Fichtenstamm gesetzt und
beobachtete Ottakring. Beide waren sie ebenso bewegungslos wie der Baumstamm.
»Ich habe sie geliebt«, sagte Ottakring so selbstverständlich, als
gäbe er seine Steuerklasse an.
Homacz erhob sich in einem Zug, ohne zu ächzen. »Habe?
Vergangenheit? Und jetzt?«
Ottakring riss die Augen auf und hörte sein eigenes Echo. Er reckte
die Arme in die Luft. Sein Gesicht war verzerrt. »Lola!«, brüllte er mit aller
Kraft. »Lola!« Dann hielt er’s nicht mehr aus. Er schlug die Hände vors Gesicht,
seine Schultern zuckten.
Tiritiriliiiih! Sein Handy. »Ja! Ottakring!«, blaffte er hinein.
»Ottakring. Deine Frau sitzt im Zug. Lola.«
Das ging zu weit. Wer wollte ihn da verarschen? Er steckte die freie
Hand in die Hosentasche und klimperte mit dem Kleingeld.
»Hey! Wer ist dran?«, rief er barsch. »Sie sprechen mit der
Polizei!«
»Ja, Chili hier.«
Tatsächlich. Chili, ein ernsthafter Mensch. Und doch. Es musste ihn
erwischt haben. Schock. Parkinson. Delirium. Folge seiner alten
Schussverletzung? Beginn seniler Verblödung? Das mit dem Zug klang abartig
verworren.
»Sie haben sie ohne Fahrkarte in den Zug gesetzt. Sie ist eine halbe
Stunde hinter Wien Richtung St. Pölten. Ich hab schon alles veranlasst.« Er
hörte, wie Chili sich energisch räusperte.
»Entschuldigung, aber ich muss aufs Klo«, hörte er sich krächzen.
Damit drückte er das Handy weg.
Ottakring saß auf dem Klo, seine Frau im Zug und Hauptmann Homacz an
einem blauen Tisch im Garten eines Wirtshauses im tiefsten Sibirien. Was sollte
er glauben?
Teil 3
Rico
Ich bin’s noch mal, Ihr Schriftsteller auf den Spuren von Joe
Ottakring. Ich hab mich aufgemacht und lange nach Unterkirchbach gesucht und
nach dem Wirtshaus und dem blauen runden Tischchen im Garten. Aus erster Hand
wollte ich erfahren, wie das war mit Lola Herrenhaus.
Oder hätten Sie das für bare Münze genommen, dass sie plötzlich
freigelassen und in den Zug gesetzt wurde? Einfach so mir nichts, dir nichts?
In keinem Krimi würde man mir das abnehmen. Aber wir sprechen von der
Wirklichkeit, und die ist oft brutal ehrlicher als ein Romanstoff.
Eingangs habe ich Ihnen erklärt, die Geschichte von Clara
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