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Spiel des Todes (German Edition)

Spiel des Todes (German Edition)

Titel: Spiel des Todes (German Edition)
Autoren: Hannsdieter Loy
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Gray
erzählen zu wollen. Diesen Auftrag habe ich erfüllt. Claras Geschichte ist zu
Ende. Dass Lola Herrenhaus zwischendurch entführt wurde, konnte ich nicht
einfach unter den Tisch kehren. Im Übrigen sind beide Fälle auf seltsame Weise
miteinander verknüpft. Einer lässt sich nicht ohne den anderen erzählen.
    Die Familie Bardhyl bestand aus Leka, Zamiras Vater, seiner Frau,
also Zamiras Mutter, und Lekas Bruder. Sporadisch trat Zamira selbst in
Erscheinung. Sie hatten die Jurorin entführt, die ihrer Tochter so große
Schande zugefügt hatte. Vermutlich hatten sie zu keiner Zeit Ungeheuerliches im
Sinn. Sie wollten ihr Angst machen, ihr drohen und sie mit Ungewissheit
foltern.
    Nach Lola Herrenhaus’ eigener Aussage hatten sie damit in den ersten
zwei Wochen Erfolg gehabt. In keiner Minute wurde sie das fortwährende Gefühl
los, beobachtet zu werden, selbst bei den intimsten Verrichtungen. Nächtelang
konnte sie nicht schlafen und litt unter dem Wahn, lebenslang eingesperrt zu
sein. Erst als sich Zamira zum ersten Mal zu erkennen gab, dämmerte ihr der
Grund für ihre Gefangenschaft. Gleichzeitig bildete sie sich ein, sich auf eine
fremde Art sicher fühlen zu können. Doch das war lediglich ein vages Gefühl,
die unbestimmte Angst schwelte weiter.
    Einmal hatte Zamira – so berichtete mir Lola Herrenhaus später – ihr
das Essen durch die Tür gereicht. Lola packte den Teller mit Fleisch und Gemüse
und schleuderte ihn in eine Ecke ihres Kerkers, sodass er mit lautem Knall
zerbrach. Vornübergebeugt stand sie da, die Hände zu Fäusten geballt, das
Gesicht hochrot und verzerrt, die Zähne zusammengepresst. Sie nahm die
Zeitschrift, die sie ihr vorher gebracht hatten, und warf sie in dieselbe
Richtung gegen die Wand, wo sie mit einem dumpfen Geräusch auseinander- und zu
Boden fiel. Sie schnappte sich das Kopfkissen vom Bett und überzog es mit einer
Salve von Fausthieben wie ein Boxer an den Seilen. Immer und immer wieder holte
sie mit beiden Armen aus. Dann packte sie das Kissen, vergrub beide Hände darin
und zerfetzte es. Kleine Stückchen der Synthetikfüllung flogen durch den
schmalen Raum und setzten sich ihr in die Haare. Tränen stiegen ihr in die
Augen, und endlich stieß sie einen lang gezogenen Schrei der Verzweiflung aus,
bevor sie zusammenbrach und nur mehr den Namen ihres Mannes stammeln konnte.
Von da an glitt sie in eine tiefe Depression hinüber, die nicht mehr endete.
    Die Stimmung hielt an, bis Lola schließlich auf diese völlig
überraschende Weise freigelassen wurde.
    Clara Gray ist tot. Ihr Aufstieg klingt wie aus einem Märchenroman.
Ihr Abstieg weist alle Merkmale einer Tragödie auf. Lassen Sie mich im
Folgenden schildern, wie der Mord aufgeklärt wurde. War es die Rache der
Bardhyls? War es Hummer? Der Franzi? Hat gar ihr geschiedener Ehemann aus dem
Gefängnis den Auftrag erteilt, weil er sie keinem anderen gönnte? Oder – für
mich die wahrscheinlichste Lösung: Was halten Sie von Gottfried Dandlberg, dem
Stalker?
    Zunächst aber wollen wir uns für einen kurzen Augenblick den
Lebenden widmen.

EINS
    Der Kriminalrat a. D. Josef »Joe« Ottakring hatte sein
zweites Weißbier in Arbeit und ging damit auf der Terrasse auf und ab, als Lola
aus dem Haus trat. Er blieb stehen, hob den Kopf und sah sie an.
    »Mein Gott«, sagte er leise. »Was musst du durchgemacht haben. Ich
bin so glücklich, dass du wieder bei mir bist. Ein leeres Glas ist wieder
gefüllt.«
    All die Ängste, die er um sie gehabt hatte, all das Bangen, alles,
was er vermisst hatte, all die Sehnsucht, diese Leere, die vielen Tage ohne
sie, die doch voller Gefühle waren, voller Suchen, voller Gedanken, in diesem
einen Augenblick kam alles zusammen. Eine Welt ordnete sich neu. Er liebte sie
so sehr, diese Lola Herrenhaus-Ottakring, seine Programmchefin, die vor drei
Stunden aus dem Zug gestiegen war.
    »Du siehst« – seine Stimme war etwas brüchig und leicht belegt –
»umwerfend aus. Dein Anblick ist so überwältigend, dass ich am liebsten heulend
vor Schmerz und Glück durch den Garten und ums Haus rennen möchte. Du bist die
schönste Frau der ganzen Welt, meine Lola!«
    Sie glaubte ihm jedes Wort. Seine Bewunderung war aufrichtig. Sie
überließ sich dem Strudel seiner Wertschätzung, sie badete darin. In jede Pore
ihres Körpers drang das Feuer aus den Augen ihres Mannes, den sie vor hundert
Jahren verlassen musste und zu dem sie jetzt zurückgekehrt war.
    Und genau in diesem Bruchteil eines
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