Spiel des Todes (German Edition)
ihre Aussage.
Hätten die Hummers nicht bombenfeste Alibis gehabt, wäre Rico ins
Grübeln gekommen.
SECHS
Clara Grays frühere Arbeitsstätte lag in unmittelbarer Nähe zum
Münchener Hauptbahnhof. Lola Herrenhaus, die Programmdirektorin des Bayerischen
Rundfunks und Claras Vorgesetzte, war hier im Funkhaus wie zu Hause.
Rico Stahl wurde von einer langbeinigen Brünetten am Empfang
abgeholt. Sie war trotz der Temperatur tief ausgeschnitten und hatte eine
Stimme wie Loretta di Palizzi. Im Aufzug erzählte sie ihm ihre Geschichte.
»Ich heiße Stella, bin neunundzwanzig Jahre alt, katholisch und
ledig. Ich wohne in Waldtrudering und bin Eigentümerin einer großen
landwirtschaftlichen Nutzfläche am Simssee, Landkreis Rosenheim, mit
dazugehörigem Bauernhaus, das gerade renoviert wird. Das ist doch in Ihrer
Nähe, nicht? Ich hab zwei Autos, eine A-Klasse und einen nagelneuen Fiat Punto,
und eine siebenhundertfünfziger Cruiser. Aber hierher fahre ich mit dem Zug.«
Ihre Lippen waren nie ganz geschlossen. Sie standen einen Spalt
auseinander, auch wenn sie nicht sprach.
»Die Clara Gray hab ich übrigens gut gekannt. Hübsche, kleine
Schlampe, die. Trotzdem schade, dass sie nicht mehr kommen kann. Ich hab zwei
Kinder, Alexa und Filippo, die leben bei meinem Exi in Kalabrien, ist auch gut
so. Adriano ist so süß zu den Kids. So hab ich mehr Zeit für mich und so, weißt
du? Am Wochenende bin ich immer draußen auf dem Bauernhof. Heute ist Mittwoch.
Am Wochenende soll klasse Wetter sein. Ich fahr mit dem Cabrio. Hier ist meine
Handynummer.«
Sie kritzelte die Nummer auf ein Programmheft des Münchener
Symphonieorchesters und reichte es ihm. Mit einer Schnute deutete sie einen
Kuss an, als die Tür auffuhr.
»Wir sind da. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Stella schlich dahin wie eine Katze, eine schmale Gestalt mit
wohlgeformtem Hintern, die sich mit kleinen Schritten und auf geschlossenen
Füßen fortbewegte. Dazu ein lasziver Hüftschwung, die Ellenbogen nah an der
Taille und ein Oberkörper, der sich kaum zur Seite bewegte.
»Catwalk!«, rief er.
Im Gehen wandte sie sich aufreizend lächelnd um.
Erst jetzt merkte er, dass er laut gesprochen hatte, und lächelte,
gar nicht peinlich berührt, zurück, ohne rot zu werden. Der Zettel ruhte tief
in seiner Seitentasche.
Etwas störte ihn: »Die kleine Schlampe.« Damit hatte sie Clara
gemeint.
Lola Herrenhaus traf er auf der siebten Etage im Café Funkania. Er
war überrascht, dass auch ihr Mann, Joe Ottakring, dabei war.
»Ich möchte mir die Aufzeichnung auch ansehen«, sagte Kriminalrat
Ottakring mit sonorer Stimme und unbewegter Miene.
»Aufzeichnung?«, gab Rico zurück.
»Aufzeichnung!«, sagte Lola Herrenhaus. »Hier entlang.«
Sie landeten in einem Übertragungsraum. Zwei Operateure saßen vor
einer Reihe von Bildschirmen. Lola nickte einem zu und gab ihm ein Zeichen.
Rico rollte einen Bürostuhl heran und setzte sich. Das schien länger
zu dauern. Die Ottakrings würden schon wissen, warum sie ihn hergebeten hatten.
Er war gespannt.
Ein Boxkampf. Eine Übertragung aus dem Münchener Olympiastadion.
Rico hatte flüchtig von dem Großkampf gelesen.
Scheinwerfer auf den Boxring gerichtet. Werbung auf dem grünen
Mattenboden. Glitzernde Figuren überall im Ring und in den ersten
Zuschauerreihen. Rico konnte Lothar Matthäus erkennen, Verona Pooth, den dicken
Calmund, Roberto Blanco, Hansi … Eine Treppe, die in den Himmel zu führen
schien. Ein eitler Mann im Smoking, der ein Mikrofon hielt. Seine Stimme, die
mehr sang als sprach.
»Meine Damen und Herren, here comes der fight um die
Europachampionship in Cruiserweight.«
Er stellte den Herausforderer vor, einen dunkelhäutigen,
glatzköpfigen Briten, der wie ein Pfau die Treppe heruntertänzelte, umgeben von
einem Dutzend finster blickender Gestalten.
» And here comes der amtierende Champion – Bagrat Rooobinsoooon«,
tönte es aus vollem, schmachtendem Hals in mächtiger Dur-Tonlage.
Ottakring wandte sich an Rico. »Um ihn geht’s«, sagte er. »Bagrat
Robinson. Er boxt unter deutscher Flagge im Hamburger Bitterfeld-Stall. Hat
eine wilde Vergangenheit …«
Rico unterbrach. Er kannte Robinsons Vergangenheit. »… die ich
kenne«, sagte er bescheiden und schlug die Augen nieder. »Georgier. Eigentlich
Bagrat Kavashi, zuerst Wackerhoff-Security, dann von Bitterfeld eingefangen,
neunundzwanzig Kämpfe, siebenundzwanzig K.o., zwei Unentschieden.« Rico
richtete die Augen wieder auf
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