Spiel, Kuss & Sieg
erhob sich. „Noch.“
Tja, damit lag er falsch, völlig falsch. Es tat ihr leid, sehr sogar.
Nämlich dass sie dieser Reise zugestimmt hatte und dass sie ihn, zumindest für einen kurzen Moment, für einen anständigen Menschen gehalten hatte. Diese Fehler würden ihr so schnell nicht wieder unterlaufen.
Sie hatte doch nur nett sein wollen! Was konnte sie dafür, wenn er verbittert war und Probleme hatte, anderen Menschen zu vertrauen?
Seufzend starrte Tamsin durch das Fenster. Berechtigte Probleme, anderen zu vertrauen, wie sie ihm missmutig zugestehen musste. Seine Enthüllungen hatten sie tief berührt. Sie hatte den Schmerz in seinen Augen gesehen. Jetzt verstand sie besser, warum er seine argentinische Herkunft während seiner Zeit in England so vehement verteidigt hatte, obwohl ihn das in eine Außenseiterrolle rückte. Das Bekenntnis zu seiner Heimat war alles, was ihm von seinem Vater, von seinem alten Leben noch geblieben war.
Allmählich versank die Sonne hinter dem Horizont, der Himmel nahm dieselbe graue Farbe an, wie das Meer unter ihnen. Hinter vorgehaltener Hand unterdrückte sie ein Gähnen.
„Du bist müde.“ Der Klang von Alejandros Stimme ließ sie zusammenzucken. „Geh schlafen. Du weiß, wo das Schlafzimmer ist.“
Er hatte es ihr gezeigt, als sie an Bord des Jets gekommen waren. Der überwältigende Luxus hatte sie sprachlos gemacht. Am liebsten hätte sie sich auf dem riesigen Bett zusammengerollt um einzuschlafen, aber wegen Alejandros verächtlichem Unterton hätte sie das niemals zugegeben.
Sie straffte die Schultern und blinzelte ein paar Mal. „Mir geht es gut. Das Bett gehört dir, du kannst darin schlafen.“
„Ich habe noch zu tun.“
„Ja, ich auch“, meinte sie brüsk, griff nach ihrem Laptop und klappte es auf. Je eher ich mit der Arbeit anfange“, fuhr sie mit zuckersüßer Stimme fort, „desto eher kann ich wieder nach Hause fliegen. Und ich denke, wir sind uns einig, dass das für alle Beteiligten am besten ist.“
Wenigstens etwas, worin wir derselben Meinung sind, stimmte Alejandro ihr in Gedanken zu. Mittlerweile war es draußen völlig dunkel geworden. Wenn er den Kopf drehte, konnte er Tamsins Spiegelbild in der Fensterscheibe sehen. Immer wieder kehrte sein Blick unauffällig dorthin zurück. Ihm fiel auf, dass sie sich beim Lesen auf die Unterlippe biss und die eine vorwitzige Strähne immer wieder hinter das Ohr zurückstrich.
Was für die Verhandlungen morgen vollkommen irrelevant ist, dachte er und widmete sich wieder den Berichten auf seinem Schoß.
Die Geschäftswelt funktionierte, hatte er irgendwann herausgefunden, wie jedes andere Spiel auch. Man musste die Taktik des Gegners analysieren, seine Stärken kennen und seine Schwächen ausnutzen. Man musste wissen, wann man sich zurückhalten, wann man zuschlagen musste. Und man musste bereit sein, seine Gefühle außen vor zu lassen.
Darin war er sehr gut.
Unwillkürlich schaute er wieder zu Tamsin hinüber. Sie saß ganz gerade in ihrem Sitz, hatte die Beine angezogen und balancierte den Laptop auf den Knien. Der Bildschirm war schwarz. Ihr Kopf war leicht nach vorne geneigt, sodass ihr der Pony über die Augen fiel.
Sie schlief.
Rasch stand er auf und stellte den Laptop auf den kleinen Tisch neben sie. Dann hob er sie in seine Arme.
Ihr Kopf sank zurück und bot ihm den perfekten Blick auf ihr friedliches Gesicht. Ihren vollen sinnlichen Lippen so nahe zu sein, versetzte ihm einen Stich. Seit sechs Jahren malte er sie in seinen Gedanken als eine Mischung aus Lady Macbeth und Lolita, doch es war unmöglich, dieses Bild mit der verletzlich wirkenden jungen Frau in seinen Armen in Einklang zu bringen. Während er sie betrachtete, öffnete sie den Mund und stieß ein zufriedenes Seufzen aus. Dann kuschelte sie den Kopf an seine Brust.
Mit einem leisen Fluch setzte er sich in Bewegung und trug sie hinüber ins Schlafzimmer am anderen Ende des Jets. Dort ließ er sie vorsichtig aufs Bett gleiten und breitete eine Decke über ihr aus, wobei er sorgsam darauf achtete, ihren Körper nicht zu berühren.
Anschließend verließ er fluchtartig das Zimmer.
Sobald Alejandro gegangen war, schlug Tamsin die Augen auf.
Noch vor ein paar Sekunden hatte sie sich todmüde gefühlt, jetzt war sie hellwach.
Sie stieß die Decke beiseite, setzte sich auf und sah sich um. Als sie seine Arme um sich gespürt hatte, hatte sie für einen winzigen Augenblick gedacht, sie müsse träumen und sich erlaubt, sich dem
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