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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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»Truhe der Tränen« zurück, zog ein T-Shirt daraus hervor, das ein paar Tropfen abbekommen hatte. Es war zerknittert und roch ein wenig muffig. Egal, es war weit und lang.
    Sie riss das Handtuch vom Spiegel. Sie schüttelte ihre Haare wie ein Hund sein nasses Fell und ließ sie an der Luft trocknen, damit sie aussahen, wie sie früher aussahen, vor der Zeit mit Krux.
    Draußen stellte sie das Grabkreuz für Davis auf und machte sich auf die Suche nach West.

5. Kapitel
    Drei rote Kirschen waren alles auf der Welt, was Herrmann Krux in diesem Augenblick interessierte. Er war nicht mehr im Hier und Jetzt. Der Boden unter ihm könnte sich auftun, er würde es nicht bemerken. Der ganze Planet könnte explodieren, er bliebe am Automaten stehen. Kein Hunger, kein Durst, nur ein Wunsch: drei rote Kirschen. Sonst nichts. Jetzt und sofort und auf der Stelle. Ohne Wenn und Aber. War das zu viel verlangt?
    Er befahl es. Er ordnete es an. Er drohte. Er wusste, wenn er sich mit jeder Faser seines Körpers und allen Sinnen auf das Ziel konzentrierte, würde es passieren. Jetzt gleich. Es hatte schon funktioniert. Mehr als einmal. Sonst stände er nicht hier. Sonst hätte er es nicht wieder getan. Nur eine Frage des Willens war es. Und Krux’ Wille zu gewinnen war unschlagbar. Sein Mund war ausgetrocknet. Das Bitburger auf der Fensterbank hatte er noch nicht angerührt.
    Mit schmalen Augen hypnotisierte er die drei Walzen, die schneller kreisten, als die Flügel eines Windrades im Sturm, ehe die linke endlich begann nachzugeben, sodass Krux Zahlen, Farben und Symbole ausmachen konnte. Als sie anhielt, zeigte sie ihm gehorsam die verlangte Kirsche wie auf dem Präsentierteller. Rot wie die Liebe. Geht doch, murmelte Krux. Ein Faustschlag in die Luft. Weiter so! Er war auf der Zielgeraden.
    Nun die rechte Walze. Als sie nach einem kleinen Ruckeln still stand, blickte ihn wieder die rote Kirsche an. Krux fiel das Kinn auf die Brust. Ihm wurde heiß und kalt. Das Blut klopfte gegen die Schläfen. Schweißperlen liefen aus dem Haaransatz.
    Eine Kirsche noch. Nur noch eine. Aber die verdammte dritte Walze schien sich besonders viel Zeit zu nehmen, ehe sie zum Stehen kam. Die geliebte rote Kirsche wirbelte herum, wurde sichtbar, verschwand wieder, neckte ihn. Zum Schluss rastete sie aber am unteren Rand ein, und in der Mitte blinkte Krux eine 50 entgegen. Gelb wie Hohn.
    Er trat gegen die Wand, schlug mit der Faust gegen den Automaten. Verarsch mich nicht! Keine Zeit für Diskussionen, das nächste Spiel begann. Hermann wechselte die Tonart. Anstatt zu befehlen und zu drohen, begann er zu betteln und zu flehen. Diese Methode hatte ihm schon mehr als einmal zum Erfolg verholfen. Nach weiteren fünf Sekunden wusste er, dass der Automat heute etwas anderes verlangte. Noch 28 Spiele. Noch 28 Chancen herauszufinden, wie er es gerne hätte. Streicheln? Flüstern? Versprechungen? Schwüre? Ich will dein Geld nicht … wenn du es mir gibst, höre ich auf … das ist mein letztes Spiel … ich verschenke das Geld an notleidende Kinder ... ich tu es nie wieder … glaub mir! Mach schon!
    Krux hatte drei Zwei-Euro-Münzen investiert. Und er hatte noch knapp 10 Euro in der Tasche. Sein restliches Hab und Gut hatte er sicherheitshalber im Bus gelassen, sonst hätte er für morgen nichts mehr. Ein Spiel kostete 20 Cent und dauerte fünf Sekunden. 30 Spiele à fünf Sekunden, das waren zwei und eine halbe Minuten. Meistens sogar mehr, wegen der Freispiele, die er zwischendurch gewann. Manchmal kam er auf drei Minuten, drei Minuten Rausch, Fieber, Wahn. Alles war möglich. Es gab nichts Besseres auf der Welt. Spielen war besser als Sex.
    Und danach? Danach tat sich ein luftleeres Loch um ihn herum auf. Danach schwebte er wie auf Watte, und seine Arme und Beine schlenkerten herum, als gehörten sie nicht zu ihm. Turkey. Aber nur wenn er nirgendwo mehr einen Cent auftreiben konnte, oder wenn die Stunde vorbei war, und der Automat ihn zu einer Zwangspause verdonnerte. Aber selbst diese Phase hatte er im Griff.
    So wie jetzt. Krux lehnte die Stirn gegen den Automaten und verabschiedete sich von ihm.
    Denn eines stand fest, er war kein echter Spieler. Er spielte nur gern. Er könnte jederzeit aufhören. Einmal war er eine ganze Woche ohne Spiel ausgekommen. In einer Art Selbstversuch, den er nur als geglückt bezeichnen konnte. Es war ihm in dieser Zeit nicht besonders gut gegangen, das wäre gelogen. Aber er hatte durchgehalten. Der Beweis dafür, dass

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