Spiel mir das Lied vom Wind
er nicht spielsüchtig war, wie seine Frau immer behauptete. »Geh mal zum Arzt«, hatte sie oft gesagt. »Du bist ja krank.« Wenn einer krank war, war sie es.
Von seinem Selbstversuch wusste sie nichts. Den hatte er erst unternommen, nachdem er das Weite vor ihr gesucht hatte.
Danach war er hochmotiviert auf die Spielwiese zurückgekehrt. Was für ein Gefühl, das erste Spiel nach einer Woche! 20 Cent für den Kick, das Highlight des Tages, den ersten Gedanken am Morgen, wenn er wach wurde, und am Abend, bevor er einschlief. 20 Cent. Das war doch kein Geld für einen Rausch.
Benommen kehrte Krux dem Automaten den Rücken und tauchte langsam wieder in der Wirklichkeit auf. Es konnte einen Augenblick dauern, ehe er wieder halbwegs wusste, wo er sich befand. Auch wenn er sich kritisch umsah, wurde er nicht schlauer. Die Lokale, die er aufsuchte, hatten eine frappierende Ähnlichkeit miteinander. Die kleinen Eifelorte, in denen sie lagen, auch.
Heute war er sich ausnahmsweise ziemlich sicher, wo er sich gerade befand. Heute war er in einem Kaff, das Tondorf hieß. Und das hatte einen einfachen Grund.
Nachdem er sich in der Imbissstube Forstwalder Hof bei Blankenheim eine Wild-Frikadelle mit Fritten und Kölsch gegönnt hatte, wollte er eigentlich über die A 1 direkt bis Köln brausen, um dort im Gewühl der Großstadt herumzulungern und zu sehen, was sich machen ließe. Manchmal war er Anfängern eine große Hilfe, und kam so durch die Hintertür zu einem Spiel. Aber kurz vor der Autobahnauffahrt Blankenheim hatte er seine Pläne ändern müssen. Schuld war ein nahezu leerer Tank. Und er wollte das bisschen Geld keiner Tanksäule schenken, erst wollte er es vermehren. Deswegen war er auf der B 51 geblieben.
Tondorf hieß der nächste Ort. Auf der Suche nach einer passenden Lokalität, war er im Schritttempo gefahren. Rechter Hand hatte er einen Anhänger voll Holz registriert, der neben einer Bushaltestelle Werbung für Kaminholz machte. Er notierte sich die Telefonnummer, die auf einem Pappschild stand und vom Auto aus gut zu lesen war. Vielleicht brauchten sie da einen Helfer?
Kurz dahinter geriet der etwas zurückliegende Dorfsaal in seinen Blick, dann die Feuerwache. Er bog nach links ab. Der Gasthof zum weißen Ross und schließlich ein Edeka-Markt auf der linken Seite, der um diese Zeit geschlossen war. In den Supermärkten hingen immer Schwarze Bretter. Eine Fundgrube für Krux. Das war schon die ganze Infrastruktur.
Als Krux nach einer scharfen Kurve vor der Kirche wenden wollte, um im nächsten Ort sein Glück zu versuchen, fiel ihm im letzten Moment die Leuchtreklame eines Lokals auf. Ein Bistro. Ein Bistro, war sein erster Gedanke, hat garantiert einen Automaten.
Und er hatte Recht behalten. Aber dieser Automat hatte ihn ganz schön auflaufen lassen. Er schlug ein letztes Mal mit der Faust dagegen. Scheißkiste.
Krux nahm das abgestandene Bitburger von der Fensterbank und trank einen kleinen Schluck. Er streckte kurz die Zunge heraus. Es schmeckte widerlich. Er näherte sich der Theke und stellte das Glas ab. Er rieb sich die Hände, sie taten weh, als hätten sie die Walzen im Automaten selbst gedreht und abgebremst. Er blinzelte, Zigarettenrauch stieg ihm in die Augen. Er stützte sich mit den Ellbogen auf die Theke und starrte in sein Glas. Er war dankbar, dass ihn niemand ansprach. Er hatte keine Lust zu reden, noch nicht einmal um 20 Cent zu feilschen.
Krux machte sich Sorgen. Eine gewisse Mitschuld an seiner Misere musste er sich eingestehen. Denn in einem Anfall von bodenloser Leichtsinnigkeit hatte er dieser Gisela M., der Frau vor Sonja, vor vielen, vielen Wochen erzählt, dass sie sich leider nicht mehr wiedersehen könnten, weil er weit weg und zwar in der Eifel sei. Er hatte nicht ahnen können, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als es seiner Frau Melinda zu erzählen. Wie sie Melinda ausfindig machen konnte – oder vielleicht war es auch umgekehrt gewesen – hatte er Melinda etwas gesagt? – das war ihm alles ein völliges Rätsel. Weiber!
Sonja S. würde das nicht tun. Eine Frau auf den Fersen reichte ihm auch völlig.
Männer waren nicht nachtragend. Denn von Hansen und Steinbrecher hatte er ewig nichts gehört, die hatten ihn und ihr Geld wahrscheinlich inzwischen abgeschrieben. Das Geld war weg. Und Krux auch. Gut so.
Seit einer Woche war er nun schon vor Melinda auf der Flucht. Rastlos tourte er durch die Eifel, ohne sich irgendwo länger als ein paar Stunden
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