Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
wissen müssen, dass ich das niemals zugelassen hätte, Anna. Wieso bist du niemals zu mir gekommen?“
Wieder lächelte sie verkrampft. „Ich hatte meinen Stolz, Leo, falls man das so nennen kann, und denk dran, dass du zu Anfang noch fast ein Junge warst. Es ist eigentlich komisch, dass das alles jetzt geschieht. Ganz bestimmt werden alle denken, es sei wegen seiner letzten Affäre, dass ich Wilhelm jetzt verlasse, obwohl ich schon vor einigen Wochen diese Entscheidung getroffen habe.“
„Du verlässt ihn?“ Leo gab sich keine Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Er war mit dem Glauben hierhergekommen, dass Anna ihn bitten würde, mit Wilhelm zu reden und von ihm zu verlangen, er solle diese Geliebte verlassen.
„Gibst du mir die Schuld?“, fragte sie leise zurück.
Leo schüttelte den Kopf. „Wie könnte ich?“
„Ich habe immer gedacht, ich würde es niemals schaffen, Wilhelm zu verlassen“, sagte sie und entspannte sich etwas, nachdem sie es herausgebracht hatte. „Das kam mir so unmöglich vor. Ich dachte, es gäbe für mich keine Möglichkeit, von ihm freizukommen, aber dann erkannte ich, dass es immer einen Weg gibt. Es ist nur eine Frage des Selbstwertgefühls, ob man nach diesem Weg sucht. Weißt du, was mir das nötige Selbstwertgefühl gegeben hat, Leo?“, fragte sie und blickte ihn aufmerksam an.
Er schüttelte den Kopf. Er konnte noch immer nicht verstehen, weswegen Anna es für nötig hielt, ihm zu erzählen, dass sie Wilhelm verließ. Schließlich hatten sie sich nie so nahegestanden.
„Ich habe mich verliebt“, sagte sie. „Ja, ich weiß, das klingt so abgegriffen, aber dennoch ist es wahr. Ich habe Franz letztes Jahr getroffen. Er kommt aus dem Osten.“ Sie sah Leos Blick und fuhr entschlossen fort: „Ja, er ist arm. Er führt ein anderes Leben, hat andere Ansichten, aber das macht unsere Liebe nicht weniger wertvoll, und wir lieben uns, Leo. So sehr, dass es ihm nichts ausmacht, wenn ich Wilhelm ohne einen Pfennig verlasse. Und das ist gut so, denn ich habe kein Geld.“ Bei seinem Gesichtsausdruck lachte sie auf. „Ist dir klar, dass selbst die Rechnungen für meine Kleider direkt an Wilhelm geschickt werden? Er gestattet mir nie, eigenes Geld bei mir zu haben. Aber Geld bedeutet mir nichts mehr. Wichtig sind mir nur noch die Jungen.“ Sie atmete tief durch. „Ich habe dich hergebeten, Leo, weil du mir versprechen musst, dass du nicht zulässt, dass Wilhelm die beiden charakterlich verbiegt. Ja, ich weiß, dass er niemals zulassen wird, dass ich Kontakt zu ihnen habe. Dadurch wird er versuchen, mich zu bestrafen. Aber wie viel Kontakt habe ich jetzt zu ihnen? Sie sind für mich wie Fremde, und diese Kluft wird noch breiter werden, wenn sie größer werden. Dafür wird Wilhelm schon sorgen.“
Sie blickte ihn an. „Versprich mir, dass du das für mich tun wirst, Leo.“
Leo spürte, dass ihn diese unerwartete Bitte tief berührte. Anna wirkte so vollkommen ernst. „Ich werde tun, was ich kann“, versprach er ihr aus voller Überzeugung. „Aber ich muss eine Anschrift von dir haben, um mit dir in Kontakt zu bleiben, Anna.“
Innerlich hatte er bereits beschlossen, dass er nicht zulassen würde, dass Wilhelm ihr keinen Unterhalt zahlte, egal, wie rachsüchtig sein Bruder sich aufführen würde. Auf jeden Fall würde ihr nach einer Scheidung Geld zustehen.
„Hier ist sie“, sagte Anna und reichte ihm einen Zettel. „Franz hat ein kleines Häuschen im Osten. Natürlich wissen wir noch nicht, ob er es behalten kann. Vielleicht meldet sich noch jemand aus dem Westen, der Anspruch darauf erhebt. Es ist ein altes, ein sehr altes Bauernhaus, bei dem der Regen durchs Dach tropft. Meine Großeltern waren Bauern, weißt du?“
Leo beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. „Ich wünsche dir Glück, Anna“, sagte er ihr.
Sie schüttelte den Kopf. „Das brauche ich nicht, Leo“, erwiderte sie. „Alles, was ich brauche, ist, dass Franz mich liebt.“
Als er zurück zu seinem Wagen ging, entdeckte Leo, dass er sie im Grunde beneidete. In gewisser Weise hatte sie einen Weg gefunden, etwas zu tun, was ihm nicht möglich war. Sie hatte eine eigene Entscheidung getroffen, wie sie ihr Leben führen wollte.
„Es gibt immer einen Weg“, hatte sie gesagt. „Es ist nur eine Frage des Selbstwertgefühls, ob man nach ihm sucht.“
Hatte sie recht? Nein, natürlich nicht. Nichts im Leben war so einfach.
Oder wollte er nur nicht wahrhaben, dass es so
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