Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
selbst angezettelt hatte. Er hatte sicher schon alles gründlich durchdacht und sich seine Standpunkte gründlich überlegt. Aber sein Bruder würde erkennen müssen, dass ein Krieg ohne Gegner nicht möglich war.
Wilhelm war kein sehr geduldiger Mann, und wenn Leo die Situation einfach überging, würde sein Bruder einen Punkt erreichen, an dem er die Selbstkontrolle verlor und jeden Vorteil aufgab, den er sich aus dieser Kampfansage erhofft hatte. Aber hier gibt es noch größere Gefahren, stellte Leo fest. Es ging hier nicht nur darum, die Lage wieder zu entschärfen oder seinem Bruder deutlich zu zeigen, wer die überlegene Stellung innerhalb des Konzerns innehatte. Diesepersönlichen Probleme musste er den Interessen der Firma zuliebe zurückstellen. Schon die Tatsache, dass Wilhelm den guten Ruf des Konzerns gefährdete, zeigte deutlich, dass er nicht in der Lage war, Hessler-Chemie zu leiten. Zu Lebzeiten seines Vaters hatte der Wilhelm unter Kontrolle gehalten, und dieser feste Griff war offenbar auch jetzt nötig.
Es war fast sechs Uhr, als Leo das Büro verlassen konnte. Für ihn war das noch relativ früh. Als er zum Parkplatz ging, stellte er fest, dass Wilhelms Wagen fort war. Doch als er bei dem Privatparkplatz der Luxusapartments angelangte, in denen Wilhelm und Anna wohnten, war auch dort kein Anzeichen von Wilhelms Mercedes, obwohl Annas BMW dort stand.
Anna öffnete ihm die Tür noch in dem Moment, in dem er anklopfte, und bat ihn herein. Sie sieht anders aus, stellte Leo fest. Erst wusste er nicht genau, worin der Unterschied bestand. Beim zweiten Blick fiel ihm auf, dass ihre Frisur weiblicher war und ihre Kleidung weicher wirkte. Normalerweise trug sie streng geschnittene Designerkostüme, doch diesmal war es ein ebenso teures, aber lässigeres Kostüm aus strukturiertem Leinen in einem zarten Pastellton.
„Sicher hast du die Zeitungen gelesen?“, fragte sie ihn angespannt, zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief ein.
„Ja.“ Er nickte und rückte unauffällig aus der Richtung, in die der Rauch zog. „Es tut mir leid, Anna“, fugte er mitfühlend hinzu.
Sie presste die Kiefer aufeinander und zuckte mit den Schultern. „Wir wissen beide, dass es nicht das erste Mal war, und ich glaube auch nicht, dass es das letzte Mal war.“
„Nein“, stimmte er zu. „Aber bisher hat er es wenigstens geheim gehalten.“
„Glaubst du?“
Leo sah sie an, während sie die Asche in einen Aschenbecher schnippte. Sie war immer eine elegante Frau gewesen, elegant und grazil, aber die Jahre der Ehe mit seinem Bruder hatten ihr diese Eleganz geraubt, sodass ihre Bewegungen jetzt ungelenk wirkten. Durch die Enttäuschungen in ihrem Leben hatten sich die Züge ihres sanften Gesichts verhärtet, und sie wirkte jetzt unglücklich und besorgt.
„Nach außen hin hat er es vielleicht verheimlicht, aber hier zu Hause hat er kein Hehl daraus gemacht. Ganz im Gegenteil.“ Sie machte eine Pause und drückte die Zigarette halb geraucht aus. Dann wandte sie sich an Leo und erzählte ihm fast verteidigend: „Manchmal habe ich den Eindruck gehabt, als genieße er es richtiggehend, mir davon zu erzählen. Er hat mir diese Frauen beschrieben und das, was er mit ihnen gemacht hat. Es klang meist eher so, als habe er ihnen etwas angetan. Und das ist auch schon immer seine Art gewesen. Soweit ich weiß, ist er heute noch genauso.“ Sie bemerkte die kleine verräterische Bewegung bei Leo und lächelte dünn. „Oh ja, er hat schon vor Jahren aufgehört, mit mir zu schlafen. Er hat mich damit verspottet, wie hässlich mein Körper seit der Geburt der Jungen geworden sei, und mir gesagt, dass niemand ihm vorwerfen könne, wenn er mich nicht mehr begehre. Er sagte, dass er nur seinem Vater zuliebe mit mir verheiratet bliebe. In der Familie von Hessler dürfe es keine Scheidung geben, der Name dürfe nicht befleckt werden.“
„Eine Scheidung wird heutzutage kaum noch als Schande aufgefasst“, wandte Leo vorsichtig ein.
„Natürlich hätte ich mich scheiden lassen sollen“, sagte Anna, als habe sie Leo gar nicht gehört. „Ich wollte es auch, aber ich hatte zu große Angst. Ich fühlte mich ihm so unterlegen. Weißt du, Wilhelm hat mir immer zu verstehen gegeben, dass ich im Falle einer Scheidung nur so wenig Unterhalt bekommen würde, dass ich buchstäblich in der Gosse leben müsste. Das war sein voller Ernst.“
Leo konnte weder seinen Schock noch seine Abscheu verbergen. „Du hättest doch
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